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Quelle: E&M
30 Jahre E&M

Zeitenwende in Arbeit

In den letzten 30 Jahren hat E&M die erneuerbaren Energien intensiv begleitet – ein Zeitraum, der von zahlreichen politischen Irrungen und Wirrungen beim Ökoenergienausbau geprägt ist.
Sieben. Null. Komma. Sieben. 70,7. Bruno Burger wundert sich über solche Zahlen in dieser Größenordnung nicht mehr. Seit Mitte 2014 dokumentiert der Professor am Freiburger Institut für Solare Energiesysteme mit seinem „Energy Charts“- Portal sozusagen als Oberstatistiker der Energiewende den kontinuierlich wachsenden Anteil erneuerbarer Energien an der öffentlichen Nettostromerzeugung. 
Dass der Ökostromanteil eines Tages bei 70,7 Prozent liegen würde, davon haben zwei Bundestagsabgeordnete wohl nie zu träumen gewagt, als sie sich an einem Freitagnachmittag im Frühsommer 1989 auf dem Köln/Bonner-Flughafen nicht ganz zufällig über den Weg liefen.

Matthias Engelsberger, altgedienter Fahrensmann der CSU-Landesgruppe, geht auf Wolfgang Daniels zu. Auch den Grünen zieht es nach der Parlamentswoche im Bonner Bundestag in die bayerische Heimat. Dass die Lufthansa-Maschine nach München-Riem mit zwei Stunden verspätet angekündigt ist, registrieren beide Parlamentarier mit Verdruss.

Bis zum Abflug, erzählt später der studierte Physiker Daniels, bereiten beide die Grundzüge für das Stromeinspeisungsgesetz vor – ein kleines, übersichtliches Regelwerk, das erste verbesserte Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien schaffen soll.

Anfang 1991 erstmals feste Vergütung für regenerativ erzeugten Strom

Die Ökoenergien eint das politisch ungleiche Paar. Engelsberger ist sozusagen Wasserwerker seit Geburt. Da seine Familie seit Jahrzehnten ein kleines Wasserkraftwerk in Oberbayern besitzt, weiß er zu genau, wie die Energiewirtschaft die Betreiber ständig mit (damals) Pfennig-Beiträgen für die Kilowattstunden aus Wasserkraft abspeist. Der Grüne Daniels hat über den Widerstand gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf den Weg in die Politik gefunden.

Monatelang baggern Engelsberger und Daniels hartnäckig an ihrem wegweisenden Gesetz. Sammeln Unterschriften, locken mit Versprechungen, loten in allen Fraktion Unterstützer aus und schaffen es im Herbst 1990 tatsächlich, dass der Bundestag das „Gesetz über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz“ beschließt. Die fünf Paragrafen legen fest, dass es erstmals für Strom aus Wasserkraft, Wind- und Solarenergie ab Anfang 1991 eine feste Vergütung gibt – ein Obolus, den die Energieversorger auf ihre Kunden umlegen können.

Trotz dieser Neuregelungen ist der Ausbau der regenerativen Energien danach alles andere als ein Selbstläufer: Im Sommer 1993 schalten die Großen der Stromwirtschaft eine Anzeige, die bezeichnend für die Großwetterlage im Land war: „[…] Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“

Statt im ICE- geht der Ausbau in den nächsten beiden Legislaturperioden bis 1998 nur im Bummelzug-Tempo voran. Die installierte Windkraftleistung wächst um rund 2.800 Megawatt, bei der Solarenergie beläuft sich der bescheidene Zuwachs auf etwa 20 MW.

Von einer Energiewende-Euphorie ist in den 1990er Jahren in der Tat wenig zu spüren. Dies zeigt 1997 der Vorstoß des damaligen Bundeswirtschaftsministers Günter Rexroth. Der FDP-Mann wollte das Stromeinspeisungsgesetz glatt abschaffen – findet in den Reihen der christlich-liberale Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl aber keine Mehrheit.

1998 kommt es zum Regierungswechsel in Bonn zu einer rot-grünen-Bundesregierung. Damit bricht eine „Zeitenwende“ für die erneuerbaren Energien an. Hermann Scheer nutzt die Gunst der Stunde, um die Förderung der erneuerbaren Energien auf neue, breite Füße zu stellen. Den wortgewaltigen und charismatischen SPD-Bundesabgeordneten trieb eine klare Mission an: „Der beschleunigte und umfassend angelegte Wechsel zu erneuerbaren Energien ist eine wirtschaftliche, soziale und ökologische Existenzfrage. Es darf keine Zeit mehr verspielt werden.“

Zusammen mit seinem Parteikollegen Dietmar Schütz sowie den beiden grünen Parlamentariern Michaele Hustedt und Hans-Josef Fell organisiert Scheer in beiden Fraktionen die Mehrheit für das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), und zwar „gegen die Obstruktionsversuche auch in der von ihnen gestellten Regierung […].“

Mit dem EEG haben Scheer und seine Mitstreiter erst einmal den Turbo für die erneuerbaren Energien gezündet: Bis etwa 2002 verdoppelte sich die installierte Windkraftleistung etwa alle zwei Jahre. Ende 2003 war die Hälfte der insgesamt in Europa installierten 28.700 MW allein in Deutschland am Netz. Auch in den Folgejahren kommt die Windenergie voran – mit konstanten Ausbauzahlen und zunehmend leistungsstärkeren Generatoren und höheren Türmen.

Wenn ein Energieträger in den Nullerjahren vom EEG profitierte, dann war es aber die Photovoltaik. Lag die Produktion von Zellen, Modulen und Wafern ein Jahrzehnt lang so gut wie am Boden, boomt dieser Sektor von da an. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen entsteht das berühmte „Solar Valley“, das sogar Einzug in die Literatur wie im „Bitterfelder Bogen“ von der Schriftstellerin Monika Maron findet.

Der Börsenindex Tecdax wird seinerzeit stark von Solarfirmen geprägt, die es 2010 zusammen auf mehr als 130.000 Mitarbeiter und über 10 Milliarden Euro Umsatz brachten. Wirtschaftsaufschwung Ost. Was auch an satten Zubauzahlen abzulesen war: In den Jahren 2010 bis 2012 lag die neu installierte Solarleistung jeweils zwischen knapp 7.500 und 8.200 MW – Deutschland war in diesen Tagen der Solar-Nabel der Welt.

Diesen Höhenflug stoppte 2012 der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) mit tatkräftiger Unterstützung von seinem Pendant im Bundeswirtschaftsministerium, Philipp Rösler (FDP). Da er eine Explosion der solaren Förderung und durch den EEG-Mechanismus steigende Strompreise befürchtete, kürzte Altmaier die Einspeisevergütung drastisch. Die Folge: Der heimische Solarmarkt kollabiert, Zehntausende Beschäftigte werden entlassen, ohne dass Politik und Gewerkschaften in Wehklagen ausbrechen.

Und nicht nur das: Die deutsche Solarindustrie verliert ihre technologische Pole-Position an China, das seitdem seine weltweite Marktbeherrschung planmäßig ausbaut. Es dauert mehr als ein Jahrzehnt, bis der Solarausbau in Deutschland wieder frühere Rekordwerte erreicht. 2023 summierte sich die Leistung aller installierten Module bundesweit auf annähernd 15.000 MW.

Ob und wann die Windenergie zusammen an Land und auf See hierzulande solche Zahlen erreicht, steht in den Sternen. Der atomare Gau im japanischen Fukushima im Frühjahr 2011 lässt den Windenergieausbau jedenfalls erst einmal kontinuierlich wachsen. Selbst die Offshore-Windenergie kommt, wenn auch mit Verspätung, aus den Startlöchern.

Systemwechsel durch CDU-geführte Bundesregierung

Diese erfreuliche Entwicklung wird ein weiteres Mal durch eine politische Intervention einer CDU-geführten Bundesregierung gestoppt. Eine EEG-Novelle beendet zu Beginn 2018 das bewährte Regelwerk mit festen Einspeisevergütungen. Stattdessen müssen Betreiber und Investoren seither einen Ausschreibungswettbewerb durchlaufen; nur wer dabei niedrige Gebote einreicht, kann auf einen Förderzuschlag hoffen.

Die Folgen dieses Systemwechsels sind fatal: 2019 erreicht der Brutto-Zubau keine 1.000 MW, deutlich weniger als vor dem Jahrtausendwechsel. Auf See kommt es zum Ausbaustopp. Es gibt Jahre danach, in denen in den deutschen Nord- und Ostseegewässern keine einzige Windenergieanlage in Betrieb geht. Das alles unter der Ägide von Peter Altmaier, von 2017 bis 2021 Bundeswirtschaftsminister. Der gebürtige Saarländer bekommt zudem den vielerorts wachsenden Widerstand der Bevölkerung und die Konflikte zwischen Artenschutz und Windenergie nicht in den Griff.

So zynisch es klingen mag: Erst der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen das Nachbarland Ukraine führt zu einer Rückbesinnung auf die Wind- und Solarenergie. Die neue Ampelregierung beschließt ambitionierte Ausbauziele für Wind und Solar, schafft neue Flächen und lichtet das Genehmigungsdickicht. Erster Gewinner ist die Solarenergie. Allein 2023 kommt es zu einem hierzulande noch nie erlebten Zubau mit gut 15.000 MW.

Bis 2030 sollen die erneuerbaren Energien, allen voran Wind und Solar, 80 Prozent beisteuern. Für eine Prognose, ob dieses Ziel erreicht wird, ist es in diesen Tagen noch zu früh. Spätestens seit dem endgültigen Atom-Aus bewegt sich der Ökostromanteil hierzulande stramm auf die 60-Prozent-Marke zu. In einzelnen Monaten ist diese Quote auch bereits deutlich über der 70 Prozent-Marke gelandet, was keiner besser weiß als der Oberstatistiker Bruno Burger von den „Energy Charts“.

Auf jeden Fall hat sich eine Vorhersage überholt: Bei den parlamentarischen Beratungen zum „alten“ Stromeinspeisungsgesetz machte Joachim Grawe, Hauptgeschäftsführer des Lobbyverbandes VDEW (Vorgänger des heutigen BDEW), Anti-Stimmung mit seiner Behauptung, dass mit dem neuen Gesetz keine einzige grüne Kilowattstunde mehr produziert werde. Der Mann hat sich geirrt, und wie!

Notabene: Für diesen Artikel hat der Autor wenige Anleihen aus Jan Oelkers Buch „Windgesichter“ gekommen. Genau genommen aus dem Kapitel „Aufwachen nach Tschernobyl – Energiealternativen jetzt!“, das er selbst geschrieben hat. 
 
Hermann Scheer (MdB, SPD und Präsident von Eurosolar) beim Besuch der Redaktion von E&M in Herrsching
Bild: E&M


 

Freitag, 19.07.2024, 08:16 Uhr
Ralf Köpke
Energie & Management > 30 Jahre E&M - Zeitenwende in Arbeit
Quelle: E&M
30 Jahre E&M
Zeitenwende in Arbeit
In den letzten 30 Jahren hat E&M die erneuerbaren Energien intensiv begleitet – ein Zeitraum, der von zahlreichen politischen Irrungen und Wirrungen beim Ökoenergienausbau geprägt ist.
Sieben. Null. Komma. Sieben. 70,7. Bruno Burger wundert sich über solche Zahlen in dieser Größenordnung nicht mehr. Seit Mitte 2014 dokumentiert der Professor am Freiburger Institut für Solare Energiesysteme mit seinem „Energy Charts“- Portal sozusagen als Oberstatistiker der Energiewende den kontinuierlich wachsenden Anteil erneuerbarer Energien an der öffentlichen Nettostromerzeugung. 
Dass der Ökostromanteil eines Tages bei 70,7 Prozent liegen würde, davon haben zwei Bundestagsabgeordnete wohl nie zu träumen gewagt, als sie sich an einem Freitagnachmittag im Frühsommer 1989 auf dem Köln/Bonner-Flughafen nicht ganz zufällig über den Weg liefen.

Matthias Engelsberger, altgedienter Fahrensmann der CSU-Landesgruppe, geht auf Wolfgang Daniels zu. Auch den Grünen zieht es nach der Parlamentswoche im Bonner Bundestag in die bayerische Heimat. Dass die Lufthansa-Maschine nach München-Riem mit zwei Stunden verspätet angekündigt ist, registrieren beide Parlamentarier mit Verdruss.

Bis zum Abflug, erzählt später der studierte Physiker Daniels, bereiten beide die Grundzüge für das Stromeinspeisungsgesetz vor – ein kleines, übersichtliches Regelwerk, das erste verbesserte Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien schaffen soll.

Anfang 1991 erstmals feste Vergütung für regenerativ erzeugten Strom

Die Ökoenergien eint das politisch ungleiche Paar. Engelsberger ist sozusagen Wasserwerker seit Geburt. Da seine Familie seit Jahrzehnten ein kleines Wasserkraftwerk in Oberbayern besitzt, weiß er zu genau, wie die Energiewirtschaft die Betreiber ständig mit (damals) Pfennig-Beiträgen für die Kilowattstunden aus Wasserkraft abspeist. Der Grüne Daniels hat über den Widerstand gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf den Weg in die Politik gefunden.

Monatelang baggern Engelsberger und Daniels hartnäckig an ihrem wegweisenden Gesetz. Sammeln Unterschriften, locken mit Versprechungen, loten in allen Fraktion Unterstützer aus und schaffen es im Herbst 1990 tatsächlich, dass der Bundestag das „Gesetz über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz“ beschließt. Die fünf Paragrafen legen fest, dass es erstmals für Strom aus Wasserkraft, Wind- und Solarenergie ab Anfang 1991 eine feste Vergütung gibt – ein Obolus, den die Energieversorger auf ihre Kunden umlegen können.

Trotz dieser Neuregelungen ist der Ausbau der regenerativen Energien danach alles andere als ein Selbstläufer: Im Sommer 1993 schalten die Großen der Stromwirtschaft eine Anzeige, die bezeichnend für die Großwetterlage im Land war: „[…] Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“

Statt im ICE- geht der Ausbau in den nächsten beiden Legislaturperioden bis 1998 nur im Bummelzug-Tempo voran. Die installierte Windkraftleistung wächst um rund 2.800 Megawatt, bei der Solarenergie beläuft sich der bescheidene Zuwachs auf etwa 20 MW.

Von einer Energiewende-Euphorie ist in den 1990er Jahren in der Tat wenig zu spüren. Dies zeigt 1997 der Vorstoß des damaligen Bundeswirtschaftsministers Günter Rexroth. Der FDP-Mann wollte das Stromeinspeisungsgesetz glatt abschaffen – findet in den Reihen der christlich-liberale Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl aber keine Mehrheit.

1998 kommt es zum Regierungswechsel in Bonn zu einer rot-grünen-Bundesregierung. Damit bricht eine „Zeitenwende“ für die erneuerbaren Energien an. Hermann Scheer nutzt die Gunst der Stunde, um die Förderung der erneuerbaren Energien auf neue, breite Füße zu stellen. Den wortgewaltigen und charismatischen SPD-Bundesabgeordneten trieb eine klare Mission an: „Der beschleunigte und umfassend angelegte Wechsel zu erneuerbaren Energien ist eine wirtschaftliche, soziale und ökologische Existenzfrage. Es darf keine Zeit mehr verspielt werden.“

Zusammen mit seinem Parteikollegen Dietmar Schütz sowie den beiden grünen Parlamentariern Michaele Hustedt und Hans-Josef Fell organisiert Scheer in beiden Fraktionen die Mehrheit für das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), und zwar „gegen die Obstruktionsversuche auch in der von ihnen gestellten Regierung […].“

Mit dem EEG haben Scheer und seine Mitstreiter erst einmal den Turbo für die erneuerbaren Energien gezündet: Bis etwa 2002 verdoppelte sich die installierte Windkraftleistung etwa alle zwei Jahre. Ende 2003 war die Hälfte der insgesamt in Europa installierten 28.700 MW allein in Deutschland am Netz. Auch in den Folgejahren kommt die Windenergie voran – mit konstanten Ausbauzahlen und zunehmend leistungsstärkeren Generatoren und höheren Türmen.

Wenn ein Energieträger in den Nullerjahren vom EEG profitierte, dann war es aber die Photovoltaik. Lag die Produktion von Zellen, Modulen und Wafern ein Jahrzehnt lang so gut wie am Boden, boomt dieser Sektor von da an. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen entsteht das berühmte „Solar Valley“, das sogar Einzug in die Literatur wie im „Bitterfelder Bogen“ von der Schriftstellerin Monika Maron findet.

Der Börsenindex Tecdax wird seinerzeit stark von Solarfirmen geprägt, die es 2010 zusammen auf mehr als 130.000 Mitarbeiter und über 10 Milliarden Euro Umsatz brachten. Wirtschaftsaufschwung Ost. Was auch an satten Zubauzahlen abzulesen war: In den Jahren 2010 bis 2012 lag die neu installierte Solarleistung jeweils zwischen knapp 7.500 und 8.200 MW – Deutschland war in diesen Tagen der Solar-Nabel der Welt.

Diesen Höhenflug stoppte 2012 der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) mit tatkräftiger Unterstützung von seinem Pendant im Bundeswirtschaftsministerium, Philipp Rösler (FDP). Da er eine Explosion der solaren Förderung und durch den EEG-Mechanismus steigende Strompreise befürchtete, kürzte Altmaier die Einspeisevergütung drastisch. Die Folge: Der heimische Solarmarkt kollabiert, Zehntausende Beschäftigte werden entlassen, ohne dass Politik und Gewerkschaften in Wehklagen ausbrechen.

Und nicht nur das: Die deutsche Solarindustrie verliert ihre technologische Pole-Position an China, das seitdem seine weltweite Marktbeherrschung planmäßig ausbaut. Es dauert mehr als ein Jahrzehnt, bis der Solarausbau in Deutschland wieder frühere Rekordwerte erreicht. 2023 summierte sich die Leistung aller installierten Module bundesweit auf annähernd 15.000 MW.

Ob und wann die Windenergie zusammen an Land und auf See hierzulande solche Zahlen erreicht, steht in den Sternen. Der atomare Gau im japanischen Fukushima im Frühjahr 2011 lässt den Windenergieausbau jedenfalls erst einmal kontinuierlich wachsen. Selbst die Offshore-Windenergie kommt, wenn auch mit Verspätung, aus den Startlöchern.

Systemwechsel durch CDU-geführte Bundesregierung

Diese erfreuliche Entwicklung wird ein weiteres Mal durch eine politische Intervention einer CDU-geführten Bundesregierung gestoppt. Eine EEG-Novelle beendet zu Beginn 2018 das bewährte Regelwerk mit festen Einspeisevergütungen. Stattdessen müssen Betreiber und Investoren seither einen Ausschreibungswettbewerb durchlaufen; nur wer dabei niedrige Gebote einreicht, kann auf einen Förderzuschlag hoffen.

Die Folgen dieses Systemwechsels sind fatal: 2019 erreicht der Brutto-Zubau keine 1.000 MW, deutlich weniger als vor dem Jahrtausendwechsel. Auf See kommt es zum Ausbaustopp. Es gibt Jahre danach, in denen in den deutschen Nord- und Ostseegewässern keine einzige Windenergieanlage in Betrieb geht. Das alles unter der Ägide von Peter Altmaier, von 2017 bis 2021 Bundeswirtschaftsminister. Der gebürtige Saarländer bekommt zudem den vielerorts wachsenden Widerstand der Bevölkerung und die Konflikte zwischen Artenschutz und Windenergie nicht in den Griff.

So zynisch es klingen mag: Erst der verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen das Nachbarland Ukraine führt zu einer Rückbesinnung auf die Wind- und Solarenergie. Die neue Ampelregierung beschließt ambitionierte Ausbauziele für Wind und Solar, schafft neue Flächen und lichtet das Genehmigungsdickicht. Erster Gewinner ist die Solarenergie. Allein 2023 kommt es zu einem hierzulande noch nie erlebten Zubau mit gut 15.000 MW.

Bis 2030 sollen die erneuerbaren Energien, allen voran Wind und Solar, 80 Prozent beisteuern. Für eine Prognose, ob dieses Ziel erreicht wird, ist es in diesen Tagen noch zu früh. Spätestens seit dem endgültigen Atom-Aus bewegt sich der Ökostromanteil hierzulande stramm auf die 60-Prozent-Marke zu. In einzelnen Monaten ist diese Quote auch bereits deutlich über der 70 Prozent-Marke gelandet, was keiner besser weiß als der Oberstatistiker Bruno Burger von den „Energy Charts“.

Auf jeden Fall hat sich eine Vorhersage überholt: Bei den parlamentarischen Beratungen zum „alten“ Stromeinspeisungsgesetz machte Joachim Grawe, Hauptgeschäftsführer des Lobbyverbandes VDEW (Vorgänger des heutigen BDEW), Anti-Stimmung mit seiner Behauptung, dass mit dem neuen Gesetz keine einzige grüne Kilowattstunde mehr produziert werde. Der Mann hat sich geirrt, und wie!

Notabene: Für diesen Artikel hat der Autor wenige Anleihen aus Jan Oelkers Buch „Windgesichter“ gekommen. Genau genommen aus dem Kapitel „Aufwachen nach Tschernobyl – Energiealternativen jetzt!“, das er selbst geschrieben hat. 
 
Hermann Scheer (MdB, SPD und Präsident von Eurosolar) beim Besuch der Redaktion von E&M in Herrsching
Bild: E&M


 

Freitag, 19.07.2024, 08:16 Uhr
Ralf Köpke

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