Die Stadtwerke Aachen (Stawag) haben sich sowohl auf der Strom- als auch auf der Wärmeseite „früh auf den Weg gemacht“, erzählt Stawag-Vorstand Christian Becker im Gespräch mit
E&M. Der Energieversorger kann bereits heute mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs Aachens aus dem eigenen Portfolio an Photovoltaik und Windkraft decken. Auf der Wärmeseite ist der Umbaubedarf hingegen noch wesentlich höher, aber auch hier hat die Stawag begonnen, Projekte umzusetzen: weg von der Kohle hin zu erneuerbaren Quellen. Das Ziel, das sich der Versorger im Dreiländereck gesetzt hat, ist durchaus ambitioniert: Bis ins Jahr 2030 soll die Versorgung „klimaneutral“ aufgestellt sein. Auf der Wärmeseite favorisiert die Stawag nicht eine einzelne Technologie, sondern einen „bunten Strauß“ von unterschiedlichen Quellen.
Neben dem Ausbau von KWK-Anlagen, die künftig auf Wasserstoff umgerüstet werden können, setzt sie auf Tiefengeothermie, Müllverbrennung und Großwärmepumpen. „Bei der Stromerzeugung sind wir tatsächlich schon viel weiter“, sagt Frank Brösse, Geschäftsführer der Tochtergesellschaft Stawag Energie. Mit dem strategischen Umbau der Stromseite beschäftigt sich die Stawag seit 2008, die Wärmeseite nahm der Versorger 2018 verstärkt in den Fokus. „Bei der Wärmewende liegen die großen Aufgaben noch vor uns; und diese müssen wir in kürzerer Zeit umsetzen“, erläutert Brösse. „Daher setzen wir hier auch in den nächsten Jahren unseren Schwerpunkt − und dabei vor allem auf den Ausbau der Fernwärmenetze und der gleichzeitigen Dekarbonisierung der Wärmequellen.“
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Vorstand der Stawag: Christian Becker Quelle: Stawag |
In Aachen „sind wir auf neue Technologien angewiesen“, erklärt Becker. Denn hier gebe es weder einen Fluss, um etwa Flusswärme zu nutzen, noch viel Abwärmepotenzial aus Industrieanlagen. Die Stawag muss daher die Quellen konsequenter nutzen, die vorhanden sind: Künftig soll insbesondere die Wärme aus der Müllverbrennungsanlage ins Fernwärmenetz gespeist werden und die vorhandene Erdwärme ebenfalls für die Fernwärme erschlossen werden. Das ist auch nötig. Denn bis 2029 geht das Kohlekraftwerk Weisweiler vom Netz, aus dem die Stawag noch immer einen großen Teil ihrer Wärme bezieht.
Fernwärme in Aachen ohne Anschlusszwang„Beim Ausbau der Fernwärme wollen wir mit dem Preis überzeugen. Wir haben daher keinen Anschlusszwang“, sagt Becker. Im Aachener Ausbaugebiet setzt die Stawag auf eine Strategie, die sich sicherlich nicht jedes Energieunternehmen leisten möchte: „Wir gehen hier absolut in Vorleistung“, so der Vorstandschef. „Da setzen wir auf Risiko aus Überzeugung.“ Der Versorger legt in Anschlussgebieten immer von sich aus den Netzanschluss. Im Nachgang kann sich der Haus- beziehungsweise der Wohnungseigentümer entscheiden, ob er tatsächlich an die Fernwärme angeschlossen werden möchte. In einem Modellstraßenzug, in dem die Stawag das Prinzip getestet hat, sei sie mit einer fast vollständigen Anschlussquote sehr zufrieden. Trotzdem sei dies eine Wette auf die Zukunft. Das Ziel ist es, von einem Fernwärmeanteil von derzeit rund 12 langfristig auf 50 Prozent zu kommen − und zugleich den Anteil an Gaseinzelheizungen in den nächsten zehn Jahren massiv zu verringern.
Dabei geht der Versorger davon aus, dass künftig zwar mehr Haushalte an das Fernwärmenetz angeschlossen werden, der Verbrauch aber sinken wird. Die Stawag hat in ihre Ausbaupläne eine Sanierungsquote mit eingerechnet. „Wir gehen davon aus, dass durch Dämm- und Effizienzmaßnahmen der Heizenergiebedarf mittelfristig um 30 Prozent sinken wird“, erklärt Becker. In den Bestands- und Ausbaugebieten liegt der Wärmebedarf aktuell bei 1.400 GWh. Bis 2045 soll er aufgrund von Sanierungen auf rund 1.000 GWh sinken. Insgesamt liegt der Wärmebedarf in Aachen derzeit bei 2.960 GWh. Die Stawag rechnet mit einem abnehmenden Bedarf bis 2045 um rund 30 Prozent und damit mit etwas mehr als 2.000 GWh.
Um die benötigte Wärme zu dekarbonisieren, hat sich beim Aachener Versorger die strategische Ausrichtung in den vergangenen Jahren verschoben. Die Tiefengeothermie ist ein Stück weit nach hinten gerückt, dafür stehen nun Großwärmepumpen mit auf der Liste. An der KWK per se halten die Aachener fest. Sie wird als hocheffiziente Technologie in den nächsten Jahren zur Dekarbonisierung der Fernwärme benötigt.
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Frank Brösse ist Geschäftsführer der Stawag Energie GmbH Quelle: Stawag |
Im Portfolio befinden sich momentan neun dezentrale Blockheizkraftwerke. Zuletzt ging 2019 die Anlage am Standort Campus Melaten und 2022 die Anlage am Schwarzen Weg in Betrieb. Am Campus erzeugen vier Module mit jeweils 2,5 MW elektrischer und 2,7 MW thermischer Leistung Energie. Die Anlage am Schwarzen Weg hat eine Leistung von je rund 22 MW elektrisch und thermisch. Alle Anlagen ließen sich mittelfristig mit Biomethan betreiben, auch Wasserstoff sei denkbar.
Neben der KWK soll künftig ein wesentlicher Teil der benötigten Wärme aus der bestehenden Müllverbrennungsanlage kommen. „Dort soll eine neue, auf Wärmeauskopplung optimierte Dampfturbine errichtet werden“, erklärt Brösse. Die bereits bestehende Fernwärmeleitung zwischen Weisweiler und Aachen kann für die Wärme aus der Anlage genutzt werden.
Großwärmepumpen und die Tiefengeothermie sollen ebenfalls Teil des Erzeugungsportfolios werden. Um die Erdwärme unter den Füßen der Aachener Bevölkerung nutzen zu können, braucht es aber erst einmal Daten. Brösse: „Es sind noch wenige geologische Daten vorhanden. Im ersten Schritt werden wir daher Seismikmessungen durchführen.“ Anschließend könne geklärt werden, wie die Untergrundwärme zu nutzen sei. „Die Chancen sind groß. Wir planen umfangreiche Seismik und Probebohrungen, warten allerdings noch auf die Förderzusage.“ Wie viel geothermische Energie in der Region Aachen steckt, klärt die Stawag gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG). Ergänzend zu den Messungen der Stawag will der Geologische Dienst NRW voraussichtlich bis Ende des Jahres eine Pilotseismik durchführen.
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Am Campus Melaten wurde vor wenigen Jahren eine KWK-Anlage errichtet Quelle: Stawag |
Zwei Großwärmepumpenanlagen sind ebenfalls in Planung: Eine soll in Burscheid das dort verfügbare Thermalwasser für die Fernwärme auf entsprechende Temperaturen bringen, die andere künftig an der Kläranlage Soers dem Abwasser thermische Energie entziehen.
Dezentrale Einzellösungen Teil des KonzeptsDie Stawag hat allerdings nicht nur potenzielle Fernwärmekunden im Blick. Ein Ersatz von alten Öl- und Gasheizungen durch die Installation von Wärmepumpen, Photovoltaik, Solarthermie oder Brennstoffzellen sind weitere technische Lösungen für Eigenheimbesitzer. Um die Energieeffizienz zu steigern und auch jenen Haushalten den Umstieg zu ermöglichen, die nicht an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden können, entwickelt der Versorger seine Beratungs-, Dienstleistungs- und Produktpalette beständig weiter. Becker: „Wir bieten auch an, etwa einen Kessel zu mieten für diejenigen, die in absehbarer Zeit an das Wärmenetz angeschlossen werden, aber eine Zwischenlösung brauchen.“ Contractingangebote würden das Portfolio von der Stawag sinnvoll ergänzen.
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Der Windpark Aachen Nord ist einer von mehreren Parks der Stawag Quelle: Stawag |
Obwohl der Fokus auf der Wärme liegen muss in den nächsten Jahren, werde man sich auf der Stromseite aber nicht weniger engagieren. Die Stawag Energie betreibt mittlerweile mehr als 25 eigene Wind- und zwölf Solarparks. Anfang des Jahres konnte der Versorger mitteilen, dass der Windpark in Simmerath um zwei Anlagen erweitert wurde. Und die bestehenden Windparks sollen weiteren Zuwachs bekommen. Auch neue Solarfreiflächenanlagen seien in Planung sowie ein eigener Elektrolyseur.
Zur Strategie gehört neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch der weitere Ausbau der Netzinfrastruktur und auch das Thema Mobilität ist Teil des Gesamtkonzepts. Hier ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur ein zentraler Punkt.
„Für den Klimaschutz ist darüber hinaus sehr wichtig, dass bei Neubauten schon jetzt hohe Energiestandards gelten“, sagt Becker. „Mit unserer eigenen Energieberatung und den Kooperationen mit Effeff oder Altbau plus unterstützen wir unsere Kunden, die Energieeffizienz auch in den eigenen vier Wänden voranzubringen.“
Der Aachener Versorger schätzt die Investitionen in den nächsten Jahren auf mehrere Hundert Millionen Euro. Neben dem Eigen- und Fremdkapital setzt man auch auf verschiedene Fördermittel. Letztendlich sei die Wärmewende aber eine Gemeinschaftsaufgabe und nur so zu gestalten. „Formell ist die Kommune in der Pflicht, aber Stadtwerke sind die zentralen Umsetzer“, so Becker. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor wird daher weiterhin die Zusammenarbeit zwischen Stadtwerk und Kommune sein.
Freitag, 10.05.2024, 09:15 Uhr
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