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Der Wissenschaftliche Beirat der EU für Klimafragen, Umwelt-, Sozialverbände und Gewerkschaften rufen dazu auf, am Kurs der Klimapolitik festzuhalten.
Die EU müsse sich zwar neuen, globalen Realitäten stellen, sagte der Vorsitzende des Beirates, der Potsdamer Klimaforscher Ottmar Edenhofer, der Klimawandel bleibe aber so aktuell und bedrohlich wie in den letzten fünf Jahren. Der europäische Klimapakt (Green Deal) müsse jetzt auch umgesetzt werden, um die EU auf Kurs zu halten und die Klimaziele zu erreichen: „Damit wir unsere Verpflichtungen für 2050 erreichen, muss die EU vor allem sicherstellen, dass die Gesetzgebung, mit der wir die Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent reduzieren wollen, auch schnell und effizient umgesetzt wird. Für die nächste Etappe 2040 müssen wir uns ein Ziel setzen, das fair und erreichbar ist.“
Strategische Entscheidungen in der Klimapolitik stünden zu Beginn der Legislaturperiode auch im Europäischen Parlament an, heißt es in der Stellungnahme des Beirats. Er erinnert die Kommission, den Rat und das Europäische Parlament in diesem Zusammenhang an seine Empfehlungen vom Anfang des Jahres.
Danach sollen die Mitgliedsstaaten dringend nationale Maßnahmen ergreifen, um das Tempo der Emissionssenkung zu erhöhen. Das müsse bis 2030 mindestens verdoppelt werden. Neben einer „schnellen, wirksamen und robusten Umsetzung des Paketes Fit for 55“ gehe es dabei vor allem um zusätzliche Maßnahmen in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft, wo der Umfang der Senken seit 2015 rückläufig sei. Sollten die Nationalen Energie- und Klimapläne (NEKP), die die Mitgliedsstaaten Ende des Monats in Brüssel einreichen müssen, dem nicht ausreichend Rechnung tragen, soll die Kommission „Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen“.
Wichtig sei, dass der Klimaschutz durch die Gesetzgebung oder regulatorische Eingriffe nicht behindert werde. Der Beirat empfiehlt deswegen eine Überarbeitung der Richtlinie über die Energiebesteuerung: höhere Mindeststeuersätze für fossile Brennstoffe und ein Abbau der Subventionen. Durch eine schnelle Umsetzung der Reform des Strommarktes, der Netto-Null-Industrie-Verordnung und anderer Rechtsakte, die in den vergangenen Monaten in Brüssel beschlossen wurden, könnten die Mitgliedsstaaten für sichere Investitionsaussichten sorgen.
Systematische Überprüfungen notwendig
Alle zukünftigen Gesetzesinitiativen müssten systematisch auf ihre klimapolitischen Folgen geprüft werden. Vor allem die Bereiche Energieinfrastruktur, -märkte, Industrieemissionen und Finanzen müssten besser auf das Ziel der Klimaneutralität abgestimmt werden. Das gelte auch für die Wettbewerbspolitik, die Beihilfekontrolle oder Planungen und Szenarien der Kommission.
Beide Emissionshandelssysteme − ETS und ETS2 − müssten fit für die Klimaneutralität gemacht werden. Dabei geht darum, wie der Ausgleich für unvermeidbare Emissionen gestaltet und verhindert wird, dass Emissionen in Sektoren verlagert werden, „die noch nicht unter den Mechanismus des Grenzausgleichsystems (CBAM) fallen“.
Um sozialen Widerständen gegen die Klimapolitik vorzubeugen, sollten alle klimapolitischen Maßnahmen genau bewertet und eventuell Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden. So könnten die „Narrative im Zusammenhang mit der Klimapolitik“ positiver gestaltet werden.
Im Rahmen der anstehenden Ãœberarbeitung der gemeinsamen Agrarpolitik der EU müssten stärkere Anreize für mehr Klimaschutz in diesem Sektor geschaffen werden. Neben einem eigenen Reduktionsziel für die Landwirtschaft und der Vorbereitung einer Bepreisung der Agraremissionen müssten die Weichen für eine Lebensmittelproduktion gelegt werden, die „mit Klimaneutralität vereinbar ist“.
Anreize für eine CO2-Entnahme auf EU-Ebene
Die Kohlendioxid-Abscheidung und -Nutzung (CCS, CCU) sollte den Branchen vorbehalten werden, die keine alternativen Minderungsmöglichkeiten hätten. Zur Begründung verweisen die Wissenschaftler darauf, dass die „indirekte Elektrifizierung durch den Einsatz von Wasserstoff und die Nutzung von Bioenergie“ weniger effizient seien als die Verbesserung der Energieeffizienz oder die direkte Elektrifizierung.
Schließlich sollte der Emissionshandel auf „alle wichtigen Sektoren“ ausgeweitet und Anreize für eine CO2-Entnahme auf europäischer Ebene geschaffen werden. Dabei müssten die spezifischen Umstände jedes Sektors berücksichtigt werden, vor allem wenn es darum gehe, Emissionen oder Entnahmen zu messen und zuzuordnen.
Ein breites Bündnis aus 35 Organisationen fordert von den Staats- und Regierungschefs der EU einen „Green Deal and Social Deal“ für die nächste Legislaturperiode. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft, der Deutsche Naturschutzring, die Caritas Deutschland, die Gewerkschaften Verdi und IGBCE, die Klima-Allianz und Verbraucherzentrale Bundesverband.
„Um den Zusammenhalt, Wohlstand und Fortschritt in der EU künftig zu sichern“, seien eine Stärkung des Green Deals, eine ausreichende Finanzierung und eine sozial gerechte Gestaltung der Transformation erforderlich. Dieser „Dreiklang“ müsse prominent in der „Strategischen Agenda“ verankert werden. Das sei die Voraussetzung für eine sozial-ökologische Transformation, „die alle Bürger mitnimmt“. Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse sei eine „sozial gerechte Politik, welche die Bedrohungen der Klimakrise angeht“, besonders dringlich.
Montag, 17.06.2024, 15:42 Uhr
Tom Weingärtner
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