Bild: Jonas Rosenberger
Der deutsche Markt für Ladestromtarife gleicht einem Dschungel: Aktuell stehen 383 Tarife von über 200 Anbietern zur Auswahl, hat EUPD Research ermittelt − und warnt vor Kostenfallen.
Zum dritten Mal hat das Bonner Beratungshaus EUPD Research in der Studie „Vergleichsanalyse mobiler Ladestromtarife“ das Spektrum der Autostromtarife in Deutschland untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd: Trotz erster Bemühungen, einheitliche Strukturen im Markt der Autostromtarife zu schaffen, zeigen sich nach wie vor enorme Preisunterschiede.
Der Kunde ist konfrontiert mit aktuell 383 Tarifangeboten, die sich in Abrechnungsmodellen und Grundgebühren, dem Zugang zur Ladesäule, den Bezahlsystemen, der Ladenetzabdeckung und weiteren Aspekten unterscheiden. „Im Zeitalter der Verbrennungsmotoren herrschte Gleichheit an der Zapfsäule. Die Elektromobilität verändert Angebots- und Nachfrageseite, da nun Fahrzeugeigenschaften und das eigene Fahrverhalten deutlichen Einfluss auf die Tarifwahl an der Ladesäule haben“, erklärt Christine Koch, Projektleiterin bei EUPD Research.
In einer umfangreichen Analyse gibt die EUPD Studie Einblick in die Tariflandschaft. Für drei Automodelle mit entsprechendem Fahrprofil − Renault Zoe für Wenigfahrer, VW ID.3 für den Durchschnittsfahrer und der Audi E-tron für Vielfahrer − werden darin die besten Autostromtarife bestimmt.
Die aktuell ermittelte Preisspanne zwischen Durchschnittspreis und dem teuersten Tarif offenbart die Brisanz der Tarifwahl:
- Für Wenigfahrer mit einem Renault Zoe können im Extremfall die Kosten um 330 % ansteigen, sodass die Stromkosten pro 100 Kilometer anstatt bei sieben Euro dann bei 31 Euro liegen.
- Der durchschnittliche deutsche Autofahrer mit einer jährlichen Fahrleistung von 14.000 Kilometern bezahlt im teuersten Tarif für den VW ID.3 knapp 1.200 Euro mehr pro Jahr als im Mittel der Tarife.
- Mit einer Fahrleistung von 30.000 Kilometern als Vielfahrer wirkt sich die falsche Tarifwahl besonders fatal aus. Im teuersten Autostromtarif muss der Fahrer eines Audi e-tron 3.246 Euro und damit 121 % mehr als im Durchschnitt der Tarife zahlen.
Die EUPD Analyse zeigt, dass deutschlandweit buch- und nutzbare Tarifangebote mit geringen AC- und DC-Ladepreisen ohne zusätzliche Roamingkosten mit guter Ladenetzabdeckung für alle Fahrprofile sinnvoll sind. Darüber hinaus können sich günstigere Vertragskonditionen ergeben, wenn ein bestehender Strom- oder Gasvertrag bei Energieversorgern oder eine Mitgliedschaft, wie etwa beim ADAC, vorliegt. Exemplarisch stehen hierfür etwa EnviaM mit dem Tarif „MEIN AUTOSTROM unterwegs“, der ADAC-Tarif „ e-Charge“ oder "Mobility+" der EnBW. Andere große Roaminganbieter wie Plugsurfing, NewMotion, Eon und Automotives schneiden dagegen aufgrund von höheren oder intransparenten Ladepreisen trotz ebenfalls hoher Ladenetzabdeckung schlechter ab.
Für Vielfahrer sind Flatrate-Tarife oder Tarife mit Pauschalpreisen vorteilhaft, um den hohen Ladebedarf kostengünstig abzudecken. Hier kann im Fahrprofil des Audi E-trons die Ladeflatrate von Energieried GmbH & Co. KG angeführt werden. Für Wenigfahrer lohnen sich Flatrates meist nicht.
Den Ladevorgang an öffentlichen Ladesäulen komfortabler machen will die "CharIN"-Initiative. Dort wird die Einführung der "Plug-and-Charge"-Technologie mit Hilfe eines Projektteams vorangetrieben. Plug and Charge ermöglicht automatisierte Kommunikations- und Abrechnungsprozesse zwischen dem E-Fahrzeug und der Ladestation. RFID-Karten oder Lade-Apps sind dazu nicht notwendig. Zur Freischaltung werden elektronische „Schlüssel“ in Form digitaler Zertifikate zwischen Fahrzeug und Ladesäule ausgetauscht. Das Projektteam besteht derzeit aus 15 Mitgliedern: BMW, BP, ElaadNL, EDF, EnBW, Renault, IBIL, Ingeteam, Innogy, Porsche, Shell, Stellantis, Total, Tritium und Volkswagen.
Ob sich der Dschungel der Ladetarife bald lichten wird, ist noch nicht absehbar. Allerdings hat das Bundeskartellamt kürzlich im Rahmen einer Mitte 2020 gestarteten Untersuchung
Fragenkataloge
an zahlreiche Marktteilnehmer verschickt. Die Bundesnetzagentur hatte wiederum im Dezember 2020 einen Beschluss veröffentlicht, der
die technischen, juristischen und finanziellen Modalitäten für eine Durchleitung von Strom fremder Anbieter an Ladesäulen erstmals genau definiert und so für mehr Transparenz sorgen könnte.
Solche Ansätze stoßen zumindest in Teilen der Branche durchaus auf offene Ohren. So schlägt etwa der Stromanbieter Lichtblick in einem offenen Brief an den Bundestag die verpflichtende
Einführung des Durchleitungsmodells vor. Ein solches Modell wird ab dem 1. Juni 2021 vom Gesetzgeber ermöglicht − allerdings nur auf freiwilliger Basis. „Wir fordern, dass die Politik die Durchleitung zum verpflichtenden Standardmodell an allen öffentlichen Ladesäulen macht”, verlangt Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik bei Lichtblick.
Mittwoch, 21.04.2021, 11:13 Uhr
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