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Mit neuer Energieversorgungsstrategie will die NRW-Landesregierung Anschluss halten an die ambitionierten Klimaziele des Bundes. Wind- und Solarkraft sollen teils erheblich wachsen.
Die CDU-FDP-Koalition in Nordrhein-Westfalen korrigiert in Teilen ihre Energiepolitik. Kern der modifizierten Energieversorgungsstrategie ist eine Verdopplung des Windenergieausbaus im bevölkerungsreichsten Bundesland sowie eine Vervierfachung der Solarkraft bis 2030.
Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart (FDP) musste für die neuen Ausbaupfade alte Positionen aufgeben. So soll es in NRW über einen geänderten Landesentwicklungsplan wieder möglich sein, Windturbinen in Wäldern zuzubauen. Dies war bereits unter der rot-grünen Vorgängerregierung erlaubt, von CDU und FDP nach dem Machtwechsel 2017 aber wieder kassiert worden.
Windkraft im Wald soll eine Episode von 30 Jahren Dauer bleiben
In Wäldern, die durch Orkane oder Schädlingsbefall beeinträchtigt sind − sogenannte "Kalamitätsflächen" −, sollen Windenergieanlagen mit einer Kapazität von 2.400 bis 3.000 MW entstehen dürfen, sagte Pinkwart auf Anfrage unserer Redaktion. Bei einer angenommenen Turbinenstärke von 5 MW sind dies bis zu 600 Anlagen. Die zarte Öffnung der Wälder ist aber nur temporär, eine Zwischennutzung sozusagen. Nach spätestens 30 Jahren sollen die Waldstandorte der Windkraft wieder verschwinden, in dieser Zeitspanne sollen parallel Mischwälder an der Stelle der zerstörten Nadelhölzer gedeihen. Ein Repowering der Wald-Anlagen schließt Pinkwart aus.
Insgesamt soll der Zubau der Windenergie in NRW bis 2030 die installierte Leistung von derzeit 6.000 MW in etwa verdoppeln. 12.000 MW sind 1.500 MW beziehungsweise 300 Anlagen mehr als in den ursprünglichen Ausbauzielen genannt. Bis zum Jahr 2035 strebt Pinkwart die Marke von 15.000 MW an, bis 2045 soll sie noch einmal auf dann 18.000 MW wachsen.
Bei der Solarenergie sieht Pinkwart "deutlich größere Potenziale", er will die installierte Leistung von derzeit gut 6.000 MW bis Ende des Jahrzehnts "mindestens" verdreifachen oder sogar auf 24.000 MW ausbauen. Erreichen will er dies mit mehr Solaranlagen auf Gewerbeflächen und auf Freiflächen − einem Bereich, in dem NRW derzeit "Schlusslicht" sei, so Pinkwart. Hinzu kommen soll der Ausbau auf Acker- und Wasserflächen (Agri- und Floating-Solarenergie).
Ausreichend Interesse für den Bau neuer Gaskraftwerke
In der Strategie spielen auch Gaskraftwerke als Brückentechnologie und Ökostrom aus Meereswindparks eine Rolle. Bis 2030 will Pinkwart in NRW 4.000 MW Leistung über zusätzliche Gaskraftwerke bereitstellen. Sofern der Bund den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehe, sehe er einen noch größeren Zubaubedarf von 6.000 MW zwischen Rhein und Weser, bei bundesweit dann 23.000 MW. Für die Bauvorhaben gebe es ausreichend Interesse und Investoren, so Pinkwart. In den Fokus würden fast automatisch die Standorte zu ersetzender Kohlekraftwerke rücken.
Insgesamt sei mit der neuen Energieversorgungsstrategie bis 2030 nicht nur das Ziel zu erreichen, den Strombedarf im Land zu 50 % über erneuerbare Energien zu decken. Pinkwart sagte voraus, sogar auf einen Anteil von 55 % zu kommen.
Lob, aber auch teils harsche Kritik erntet das Strategiepapier bei der Opposition im Landtag und der Energiebranche. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, auf welchen Flächen die erforderlichen Windturbinen entstehen sollen. Der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE) etwa kann nicht erkennen, wie der Ausbau zu der nach wie vor geltenden 1.000-Meter-Abstandsregelung zu Wohngebäuden passen soll. Pinkwart will explizit an dieser Regelung festhalten.
Auch kritisiert der LEE, dass die Landesregierung sich nicht zum Ziel der Ampelkoalition in Berlin äußert, nach welchem 2 % der Landesfläche bundesweit für die Windenergie bereitzustellen ist. LEE-Vorsitzender Reiner Priggen rechnete Pinkwart vor, was sein Mindestziel von 12.000 MW Windkraft konkret bedeute: eine Vervierfachung des jährlichen Zubaus. Denn zuletzt seien nur 250 MW pro Jahr neu entstanden. "Wenn wir den Rückbau alter Anlagen in den nächsten Jahren berücksichtigen, brauchen wir bis 2030 jedes Jahr einen Zubau von mindestens 1.000 Megawatt", so Priggen.
Verhaltenes Lob gab es von Oppositionspolitikerin Wibke Brems. Die Sprecherin für Klimaschutz und Energiepolitik der Grünen-Fraktion erkannte an, dass CDU und FDP nun "endlich" auch Gewerbe- und Industriegebiete in den Ausbau der Windenergie einbezögen. Das Festhalten an der 1.000-Meter-Regelung aber würde die Zubauchancen "kaputt machen". Andre Stinka, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, sagte, eine von den Sozialdemokraten geführte Landesregierung werde die Abstandsregelung sofort kippen. Die Branche bräuchte klare Signale für ihre Investitionen. NRW wählt den Landtag am 15. Mai 2022 neu, Hendrik Wüst (CDU) stellt sich als Laschet-Nachfolger und Kurzzeit-Ministerpräsident erstmals dem Wählervotum.
Donnerstag, 16.12.2021, 15:48 Uhr
Volker Stephan
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