Quelle: E&M
Stadtwerke sind die Umsetzer der Energiewende, haben es aber häufig noch schwer in dieser Rolle, wie beim diesjährigen Stadtwerke Impact Day deutlich wurde.
Auch wenn Besucher der E-world sich mittlerweile wohl nicht mehr über Standpersonal in Sneakers und bunten Polo-Shirts wundern und wenn unbeschlippste Referenten bei Konferenzen kein ungewöhnlicher Anblick mehr sind, zeigt der Stadtwerke Impact Day (SID), dass es doch noch eine Ecke unkonventioneller geht.
Angefangen von der Location, dem Rider‘s Cafe, einem Musikclub im Lübecker Westen, über die Liveband „Pudeldame“ zur Halbzeit und nach der Veranstaltung, bis zum persönlichen Umgang zwischen Moderatoren, Diskussionsteilnehmern und Publikum. „Wir sind eine Duz-Veranstaltung“, schickte Moderator Matthias „Metti“ Mett gleich mal seinem Gespräch mit dem Lübecker Stadtwerkechef Jens Meier an der Bar des Rider‘s Cafe voraus.
Was „Jens“ dort und später auch auf einem Podium zusammen mit anderen Stadtwerkegeschäftsführern zur Energiewende und zum Klimaschutz zu sagen hatte, waren dann aber doch die erwartbaren Ausführungen zur Rolle der kommunalen Versorger bei der Energiewende, wie sie auch bei einer Handelsblatt-Konferenz oder der Tagung zum Energiemanager des Jahres zu hören sind.
Magerrasen verhindert Errichtung von Windrad
Über die Notwendigkeit zum Klimaschutz, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, die Prinzipien der Nachhaltigkeit zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen, gibt es keinen Dissens in ernsthaften Debatten, wie sie auch beim SID geführt wurden. Er habe selten so viel Einigkeit in Gesellschaft und Politik bei diesen Fragen erlebt, sagte Meier. Gleichzeitig wünscht er sich mehr Beinfreiheit für die Stadtwerke, um auch wirklich „loslegen“ zu können.
Mit „einfach mal machen lassen“ brachte er es auf den Punkt. Denn die Stadtwerke − und da stimmte ihm beispielsweise sein Kollege Carsten Liedtke zu, Sprecher des Vorstands der Stadtwerke Krefeld − müssen häufig erst noch so manches dicke bürokratische Brett bohren, um beim Ausbau der Erneuerbaren voranzukommen − sofern dies überhaupt gelingt und sie nicht durch die Halme eines Magerrasens oder einen Kammmolch ausgebremst werden.
Den nicht botanisch oder landwirtschaftlich Bewanderten im Auditorium erklärte Liedtke, dass es sich bei Magerrasen um extensiv genutztes Grünland handelt, dessen Existenz schon die Errichtung von Windrädern auf militärischen Konversionsflächen verhindert habe. Natur- und Artenschutz muss man seiner Überzeugung nach differenziert betrachten. Weil an einer bestimmten Stelle ein Windrad steht, sei nicht gleich eine ganze Art zum Aussterben verurteilt.
Wenn jedoch wirklich der Schutz eines einzelnen Tieres der Grund dafür ist, dass dort kein Windrad oder keine Photovoltaikanlage gebaut werden könne, dann habe man schon verloren, bevor man angefangen habe, so Liedtke. „Diese Themen müssen wir angehen“, sagte der Krefelder Stadtwerkechef unter dem Applaus des Publikums. Und wenn es einmal nicht der Naturschutz ist, wird möglicherweise der Denkmalschutz zum Bremsklotz für den Ausbau der Erneuerbaren.
Dass an Politik und Verwaltung nicht nur Stadtwerke auf dem Weg zum Klimaziel verzweifeln, sondern mitunter auch die Verwaltung selbst, machte der Lübecker Bürgermeister Jan Lindenau sehr anschaulich. Bis 2035 soll die Kommune klimaneutral sein, so der Plan der rund 200.000 Einwohner zählenden Hansestadt. Weit über 600 Maßnahmen seien dafür identifiziert worden. Deren technische Umsetzbarkeit sei nicht die Frage.
Planungs- und Genehmigungsverfahren seien mitunter die Hürden. Am Ende sei er aber optimistisch, dass sich die Umsetzung beschleunigen lasse. Trotzdem oder gerade deshalb wundert er sich immer wieder, so Lindenau, dass ein Bürgermeister und ein Staatssekretär erst stundenlang über Ziele diskutieren müssen, die sich aus bereits beschlossenen und allgemein anerkannten Größen ableiten lassen.
Warum könne man nicht die Arbeitsebene beginnen lassen? Was als Ergebnis herauskommen soll, sei ja klar. Ewig sei diskutiert worden, ob ein neu aufzubauender Stadtteil klimaneutral geplant werden soll. „Irgendwann haben wir dann eine ‚Gebrauchsanweisung‘ geschrieben für einen Bebauungsplan“, berichtete Lindenau. Erstaunlicherweise seien damit die Diskussionen beendet gewesen. „Ich frage mich, warum wir vorher sechs Jahre lang diskutiert haben“, so das Lübecker Stadtoberhaupt.
„Wir fangen in Deutschland überhaupt erst bei 120-prozentiger Sicherheit an“, klagte Lindenau. Irgendwann müsse man auch einmal bei 75 oder 80 Prozent starten, wenn sich die Beteiligten auf ein Ziel verständigt haben. Auch im Hinblick auf die Diskussion mit Klimaaktivisten sei sehr wichtig klarzumachen, dass durch theoretische Diskussionen über ein Zieljahr für die Klimaneutralität nur wichtige Zeit verloren gehe. Dies spiele nur denen in die Karten, die keine Veränderung wollten. „Wir müssen die Diskussion darüber führen, was wir schnell umsetzen können“, forderte Lindenau. Die Wärmewende nannte er als Beispiel eines Aufgabenfeldes, das keine Zieldiskussion mehr vertrage, sondern so schnell wie möglich mit konkreten Maßnahmen angegangen werden müsse.
Ob die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beschworene „neue Deutschland-Geschwindigkeit“ tatsächlich nachhaltig wirkt und auch beim Ausbau der Erneuerbaren zum Tragen kommt, bleibt abzuwarten. Allzu viel Optimismus in diese Richtung zeigten die Teilnehmer des SID zwar nicht. Ihre Entschlossenheit, Tempo zu machen, kam jedoch deutlich zum Ausdruck.
Dem Anspruch seiner Tochter, die in der Grundschule zum Thema Klimaschutz gesagt habe, „mein Vater arbeitet bei den Stadtwerken, der kümmert sich darum“, will Jens Meier jedenfalls gerecht werden und nicht in zehn Jahren, wenn sie eine junge Erwachsene ist, nach Ausreden suchen müssen.
Mehr Realismus nötig, damit Ziele auch erreicht werden können
Erkennbare Zweifel, dass die Stadtwerke besonders in der Verantwortung stehen, politische Beschlüsse und letztlich die Energiewende vor Ort − sie findet ja bekanntlich im Verteilnetz statt – umsetzen, gab es nicht beim Stadtwerke Impact Day und wird es auch bei anderen Konferenzen nicht geben. Aber gerade deshalb war es Markus Hilkenbach im Rahmen einer zweiten Podiumsdiskussion in Lübeck doch wichtig, die Zieldiskussion zu führen.
Wasserstoffbusse, eigene Elektrolysekapazitäten, Investitionen in Geothermie und Freiflächenphotovoltaik − alles Engagements der Stadtwerke Wuppertal, die dem Vorstandsvorsitzenden zufolge auf die Dekarbonisierungsstrategie des kommunalen Versorgers einzahlen. Emissionsfrei zu werden, sei ein ernsthaftes Ziel, für das der Versorger viel Geld investiert, versicherte er. Aber wenn er die Ziele der Bundesregierung linear herunterbreche, müsse er sich schon fragen, mit welcher Botschaft er zu seiner Mannschaft geht.
Realistisch gesehen sei einfach operativ in Wuppertal nicht das umsetzbar, was zur Zielerreichung 2030 notwendig wäre. Pro Jahr müsste beispielsweise deutlich mehr an PV-Kapazität zugebaut werden, als was bisher seit 1990 errichtet wurde.
Angesichts solcher Anforderungen plädierte Hilkenbach für mehr Realitätssin. Seiner Überzeugung nach ist es notwendig, die Diskussion über realistische Ziele zu führen, um diese auch einmal wirklich erreichen zu können und nicht mit der Zeit an Zielverfehlungen zu verzweifeln. Man könne nun mal nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass eine Region mit Mehrfamilienhäusern so einfach auf Wärmepumpen umzustellen ist. So mancher Eigentümer findet die Idee vielleicht interessant, finde seinen nächsten Urlaub aber dann doch wichtiger als die Sanierung seiner Liegenschaft. Das sei durchaus realistisch.
Volkswirte haben im Studium gehört, dass in bestimmten ökonomischen Denkschulen der technische Fortschritt zwar wie Manna vom Himmel fällt, aber dennoch mit ihm zu rechnen ist. Auch Hilkenbach rät dazu, den technischen Fortschritt nicht außer Acht zu lassen. Angesichts der Leistungssteigerungen der Windturbinen in den vergangenen Jahren sei durchaus Vertrauen in die weitere Entwicklung angebracht, die möglicherweise im Laufe der Zeit immer größere Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität erlaube.
Freitag, 14.04.2023, 09:15 Uhr
Fritz Wilhelm
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