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Gas

"Wir werden um Erdgas nicht herumkommen"

Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden, über gute Gründe, Erdgas weiter zu nutzen, und Möglichkeiten, es durch grüne Gase zu ersetzen.
E&M: Herr Professor Möst, Sie haben im Projekt ‚Erdgas-BRidGE‘ die künftige Rolle von Erdgas bei der Energiewende untersucht. Brauchen wir Erdgas, um die Klimaziele zu erreichen?

Möst: Mittelfristig − etwa von 2025 bis 2040 − werden wir um Erdgas nicht herumkommen. Der Ausstieg aus Kohleverstromung und Kernenergie wird nicht vollständig durch erneuerbaren Strom zu kompensieren sein. Auch für die Kraft-Wärme-Kopplung in Wärmenetzen wird Gas als Kohleersatz zum Einsatz kommen, in der Wärmeversorgung spielt Gas insgesamt noch eine zentrale Rolle. Außerdem kann Erdgas für Betreiber von Biomasseanlagen, die Wärme liefern und in den nächsten Jahren aus der EEG-Förderung fallen, eine Alternative sein. Langfristig bleibt jedoch durch das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 und den Green Deal der EU kein Platz mehr für Erdgas.

E&M: Was spricht für Erdgas als Energieträger für den Übergang?

Möst: Die vorhandene Infrastruktur, die es ermöglicht, Gas zu einem attraktiven Preis zu beziehen, die damit erreichbare hohe Flexibilität, die flächendeckend gute Verfügbarkeit und die geringen CO2-Emissionen bei der Nutzung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Erdgas wegen des bislang wenig beachteten sogenannten Methanschlupfs bei der Förderung im Hinblick auf den CO2-Ausstoß gar nicht so viel besser abschneidet als Kohle.

 
Dominik Möst: „Die Abhängigkeit von Erdgas in der Energieversorgung ist noch sehr hoch“
Bild: TU Dresden/Ben Gierig


E&M: Brauchen wir neue Gaskraftwerke, um die Stromerzeugung zu sichern, und wie groß ist für Investoren die Gefahr von Stranded Assets?

Möst: Die mit Blick auf Versorgungssicherheit erstellten Netzentwicklungspläne Strom zeigen, dass zusätzliche Kapazitäten notwendig sind. Gaskraftwerke werden erst einmal die günstigste Option für die Dunkelflaute sein. Um einen Zubau an der einen oder anderen Stelle wird man nicht herumkommen. In welcher Größenordnung, hängt davon ab, wie schnell wir beim Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung vorankommen. Die Risiken von Stranded Assets sind abhängig von der Entwicklung des CO2-Preises im Emissionshandel. Beim derzeit moderaten Preis stehen Gaskraftwerke noch gut da. Sollte er bis 2030 auf deutlich über 100 Euro pro Tonne steigen, könnten neue Technologien wie grüner Wasserstoff oder Stromspeicherung attraktiv werden.

E&M: Gibt es in der Wärmeversorgung schon ausreichende Alternativen für Erdgas?
Möst: Erdgas spielt in diesem Bereich noch eine wichtige Rolle und deckt derzeit knapp 50 Prozent der Wärmeversorgung deutscher Haushalte ab. Erst vor wenigen Jahren haben in Neubauten Wärmepumpen den Gaskessel als meistverbaute Wärmebereitstellungstechnologie abgelöst. Im Gebäudebestand sind Wärmepumpen allerdings aufgrund geringer Dämmung und damit hoher Heizlasten sowie wegen alter Heizkörper nicht die erste Wahl. Erneuerbare Energien können in der Wärmeversorgung grundsätzlich attraktiv und wettbewerbsfähig sein. Aber die höhere Heterogenität der Technologien, die Akteursvielfalt und die Marktstrukturen machen eine effektive Umsetzung der Energiewende deutlich schwieriger als im Strombereich. Hinzu kommt, dass die Investitionszyklen im Gebäudebereich extrem lang sind. Auch deshalb wird es nicht so einfach sein, die Wärmeversorgung rasch umzustellen.

E&M: Ist die Versorgung mit Erdgas gesichert?

Möst: Die Versorgung ist grundsätzlich gesichert. Allerdings muss die rückläufige Gasproduktion in der EU durch Importe ersetzt werden. Dabei besteht die Bestrebung, die Angebotsstruktur weiter zu diversifizieren. Aber auch die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern wie Russland und Norwegen wird weiter zunehmen.

E&M: Genügt die Gasinfrastruktur den Anforderungen einer sich stark verändernden Energieversorgung?

Möst: Die Gasinfrastruktur ist grundsätzlich ausreichend dimensioniert. Lokal kann jedoch eine zusätzliche Nachfrage Investitionen ins Gasnetz erforderlich machen. Auch die Sektorkopplung zwischen Strom- und Gasinfrastruktur in Verbindung mit grünem Gas kann weitere Investitionen erfordern. Insgesamt sind wir in einer sehr guten Situation, weil nicht davon auszugehen ist, dass die Erdgasnachfrage dramatisch wächst.

E&M: Muss die Entwicklungsplanung für das Gasnetz stärker am Klimaschutz orientiert werden?

Möst: Auf jeden Fall sollten die Netzentwicklungspläne für Gas und Strom stärker miteinander verlappt und aufeinander abgestimmt werden. Eine integrierte Netzentwicklungsplanung wäre auch für eine optimierte Sektorkopplung förderlich. Die Orientierung an Klimazielen stellt eine Herausforderung dar, weil zwar langfristige CO2-Reduktionsziele formuliert sind, heutige Erfordernisse jedoch Pfadabhängigkeiten mit sich bringen. Zudem ist die Netzentwicklungsplanung vor allem auf Versorgungssicherheit ausgerichtet. Der Auflösung des Konflikts zwischen Klimaschutz und Gasnutzung dienen Planungen für ein Wasserstoffnetz.

E&M: Sind die Pipeline Nord Stream 2 und LNG-Terminals in Deutschland notwendig?

Möst: Die Gasversorgung würde auch ohne diese zwei Optionen funktionieren und gesichert sein. Hinter beiden Projekten stecken aber auch politische Überlegungen. Nord Stream 2 und LNG-Terminals würden Deutschland mehr zum Durchleitungsland und zum Handelsplatz für Erdgas machen sowie für mehr Konkurrenz bei den bisherigen Durchleitungsländern für russisches Erdgas sorgen.

E&M: Eine Zukunftsoption ist Power-to-Gas, also die Erzeugung grünen Wasserstoffs/Gases mit erneuerbarem Strom. Ist es realistisch, Erdgas nach und nach durch grünes Gas ersetzen zu wollen, wie es die Gaswirtschaft anstrebt?

Möst: Ganz so einfach wird die Umstellung der Gasinfrastruktur auf Wasserstoff nicht sein, weil das Erdgasregelwerk der Beimischung von Wasserstoff enge Grenzen setzt. Die Infrastruktur lässt sich auch nicht so leicht ertüchtigen, weil bei höheren Wasserstoffanteilen wichtige Komponenten wie Gasturbinen oder Speicher Probleme machen würden. Die Aufbereitung von Wasserstoff zu grünem Methan würde die Probleme mit der Infrastruktur beseitigen, das grüne Gas allerdings aufgrund des zusätzlichen Aufbereitungsschrittes noch ein Stück weiter von der Wettbewerbsfähigkeit entfernen. Diese Themen soll ein Folgeprojekt zu Erdgas-BRidGe erörtern, bei dem wir den Übergang zu einer Wasserstoffinfrastruktur untersuchen wollen.

E&M: Grüne Gase sind noch sehr teuer und nicht wettbewerbsfähig. Kann man schon seriös erkennen, dass eine deutliche Kostensenkung möglich ist?

Möst: Bei Elektrolyseuren für die Wasserstoffproduktion sind Kostensenkungen zu erwarten. Energiekosten spielen jedoch ebenso eine Rolle. Auch wenn erneuerbarer Strom nach 20 Jahren EEG hinsichtlich der Gestehungskosten nun wettbewerbsfähig gegenüber konventionell erzeugtem ist, wäre per Elektrolyse daraus erzeugter Wasserstoff weit davon entfernt, wettbewerbsfähig zu konventionell mittels Dampfreformierung hergestelltem Wasserstoff auf Basis von Erdgas zu sein. Auch günstiger Überschussstrom wäre da keine Lösung, weil die Elektrolyseure damit nicht genügend Volllaststunden erreichen. Perspektivisch interessant könnte sein, Offshore-Windparks oder große PV-Anlagen direkt an Elektrolyseure und gar nicht ans Stromnetz anzuschließen. Solche Lösungen könnten bei CO2-Preisen von 150 bis 200 Euro je Tonne attraktiv werden.

E&M: Kann blauer Wasserstoff aus Erdgas beim Übergang zu grünen Gasen helfen?

Möst: Blauer Wasserstoff ist interessant, weil seine Nutzung schon bei deutlich niedrigeren CO2-Preisen zwischen 50 und 80 Euro je Tonne konkurrenzfähig werden kann. Für die Gaslieferländer verhindert er ein völliges Wegbrechen der Erdgasproduktion. Diese treiben auch die CCS-Technik zur unterirdischen Ablagerung des dabei entstehenden Treibhausgases voran. In Deutschland halte ich CCS jedoch gegenwärtig nicht für vorstellbar.

E&M: Ist es erforderlich, die Nutzung grüner Gase auf spezielle Bereiche zu begrenzen?

Möst: Grundsätzlich sollte man die Nutzung nicht begrenzen, allerdings ist Wasserstoff aufgrund der höheren Energiedichte und der höheren Umwandlungsverluste nur für bestimmte Anwendungen attraktiv. Zum Beispiel als Treibstoff für Luft- und Schwerlastverkehr oder als Substitut für konventionelle Industrierohstoffe zur Reduktion von Treibhausgasemissionen in der Stahlindustrie. Gegenwärtig ist eine Nutzung in diesen Anwendungen aufgrund der hohen Kosten ohne Förderung kaum umsetzbar. Insgesamt ist der momentane CO2-Preis zu niedrig, um grünen Wasserstoff konkurrenzfähig zu machen.

E&M: Erdgas wird in der Klimapolitik zunehmend kritisch betrachtet. Könnte es sein, dass sich energiewirtschaftliche Planungen mit Erdgas in absehbarer Zeit erübrigen, weil es wie Kohle und Kernkraft politisch nicht mehr durchsetzbar ist?

Möst: Ausschließen kann man das nicht. Die Abhängigkeit von Erdgas in der Energieversorgung ist jedoch noch sehr hoch, sodass eine rasche vollkommene Abkehr eher unwahrscheinlich erscheint. Außerdem könnten sich Abwägungen und Bewertungen zum Erdgas dadurch verändern, dass Umweltauswirkungen heute als sauber geltender Zukunftstechnologien, beispielsweise der Kobalt- und Lithiumbedarf für die Elektromobilität, stärker zum Thema werden. E&M


Erdgas als Brücke
Die künftige Rolle von Erdgas bei der Energiewende zu ergründen und zu analysieren, war Thema des Projekts „Erdgas-BRidGE“. Finanziert durch das Bundeswirtschaftsministerium untersuchten Wissenschaftler des Lehrstuhls für Energiewirtschaft an der TU Dresden und Experten des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln seit 2018, welche Unsicherheiten in der langfristigen Entwicklung des europäischen und deutschen Erdgasmarkts bestehen, wie kurz-, mittel- und langfristige Unsicherheiten in Erdgasmodellen abgebildet werden können, welche Bedeutung Erdgas künftig im Wärme- und Stromsektor einnehmen wird und welche Implikationen für die Ziele der Energiewende bestehen. Das Forschungsprojekt wurde geleitet von Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden. Der Abschlussbericht des zum Jahresende auslaufenden Projekts soll im Frühjahr 2021 erscheinen.
 

Mittwoch, 6.01.2021, 09:09 Uhr
Peter Focht
Energie & Management > Gas -
Bild: Fotolia.com, WoGi
Gas
"Wir werden um Erdgas nicht herumkommen"
Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden, über gute Gründe, Erdgas weiter zu nutzen, und Möglichkeiten, es durch grüne Gase zu ersetzen.
E&M: Herr Professor Möst, Sie haben im Projekt ‚Erdgas-BRidGE‘ die künftige Rolle von Erdgas bei der Energiewende untersucht. Brauchen wir Erdgas, um die Klimaziele zu erreichen?

Möst: Mittelfristig − etwa von 2025 bis 2040 − werden wir um Erdgas nicht herumkommen. Der Ausstieg aus Kohleverstromung und Kernenergie wird nicht vollständig durch erneuerbaren Strom zu kompensieren sein. Auch für die Kraft-Wärme-Kopplung in Wärmenetzen wird Gas als Kohleersatz zum Einsatz kommen, in der Wärmeversorgung spielt Gas insgesamt noch eine zentrale Rolle. Außerdem kann Erdgas für Betreiber von Biomasseanlagen, die Wärme liefern und in den nächsten Jahren aus der EEG-Förderung fallen, eine Alternative sein. Langfristig bleibt jedoch durch das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 und den Green Deal der EU kein Platz mehr für Erdgas.

E&M: Was spricht für Erdgas als Energieträger für den Übergang?

Möst: Die vorhandene Infrastruktur, die es ermöglicht, Gas zu einem attraktiven Preis zu beziehen, die damit erreichbare hohe Flexibilität, die flächendeckend gute Verfügbarkeit und die geringen CO2-Emissionen bei der Nutzung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Erdgas wegen des bislang wenig beachteten sogenannten Methanschlupfs bei der Förderung im Hinblick auf den CO2-Ausstoß gar nicht so viel besser abschneidet als Kohle.

 
Dominik Möst: „Die Abhängigkeit von Erdgas in der Energieversorgung ist noch sehr hoch“
Bild: TU Dresden/Ben Gierig


E&M: Brauchen wir neue Gaskraftwerke, um die Stromerzeugung zu sichern, und wie groß ist für Investoren die Gefahr von Stranded Assets?

Möst: Die mit Blick auf Versorgungssicherheit erstellten Netzentwicklungspläne Strom zeigen, dass zusätzliche Kapazitäten notwendig sind. Gaskraftwerke werden erst einmal die günstigste Option für die Dunkelflaute sein. Um einen Zubau an der einen oder anderen Stelle wird man nicht herumkommen. In welcher Größenordnung, hängt davon ab, wie schnell wir beim Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung vorankommen. Die Risiken von Stranded Assets sind abhängig von der Entwicklung des CO2-Preises im Emissionshandel. Beim derzeit moderaten Preis stehen Gaskraftwerke noch gut da. Sollte er bis 2030 auf deutlich über 100 Euro pro Tonne steigen, könnten neue Technologien wie grüner Wasserstoff oder Stromspeicherung attraktiv werden.

E&M: Gibt es in der Wärmeversorgung schon ausreichende Alternativen für Erdgas?
Möst: Erdgas spielt in diesem Bereich noch eine wichtige Rolle und deckt derzeit knapp 50 Prozent der Wärmeversorgung deutscher Haushalte ab. Erst vor wenigen Jahren haben in Neubauten Wärmepumpen den Gaskessel als meistverbaute Wärmebereitstellungstechnologie abgelöst. Im Gebäudebestand sind Wärmepumpen allerdings aufgrund geringer Dämmung und damit hoher Heizlasten sowie wegen alter Heizkörper nicht die erste Wahl. Erneuerbare Energien können in der Wärmeversorgung grundsätzlich attraktiv und wettbewerbsfähig sein. Aber die höhere Heterogenität der Technologien, die Akteursvielfalt und die Marktstrukturen machen eine effektive Umsetzung der Energiewende deutlich schwieriger als im Strombereich. Hinzu kommt, dass die Investitionszyklen im Gebäudebereich extrem lang sind. Auch deshalb wird es nicht so einfach sein, die Wärmeversorgung rasch umzustellen.

E&M: Ist die Versorgung mit Erdgas gesichert?

Möst: Die Versorgung ist grundsätzlich gesichert. Allerdings muss die rückläufige Gasproduktion in der EU durch Importe ersetzt werden. Dabei besteht die Bestrebung, die Angebotsstruktur weiter zu diversifizieren. Aber auch die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern wie Russland und Norwegen wird weiter zunehmen.

E&M: Genügt die Gasinfrastruktur den Anforderungen einer sich stark verändernden Energieversorgung?

Möst: Die Gasinfrastruktur ist grundsätzlich ausreichend dimensioniert. Lokal kann jedoch eine zusätzliche Nachfrage Investitionen ins Gasnetz erforderlich machen. Auch die Sektorkopplung zwischen Strom- und Gasinfrastruktur in Verbindung mit grünem Gas kann weitere Investitionen erfordern. Insgesamt sind wir in einer sehr guten Situation, weil nicht davon auszugehen ist, dass die Erdgasnachfrage dramatisch wächst.

E&M: Muss die Entwicklungsplanung für das Gasnetz stärker am Klimaschutz orientiert werden?

Möst: Auf jeden Fall sollten die Netzentwicklungspläne für Gas und Strom stärker miteinander verlappt und aufeinander abgestimmt werden. Eine integrierte Netzentwicklungsplanung wäre auch für eine optimierte Sektorkopplung förderlich. Die Orientierung an Klimazielen stellt eine Herausforderung dar, weil zwar langfristige CO2-Reduktionsziele formuliert sind, heutige Erfordernisse jedoch Pfadabhängigkeiten mit sich bringen. Zudem ist die Netzentwicklungsplanung vor allem auf Versorgungssicherheit ausgerichtet. Der Auflösung des Konflikts zwischen Klimaschutz und Gasnutzung dienen Planungen für ein Wasserstoffnetz.

E&M: Sind die Pipeline Nord Stream 2 und LNG-Terminals in Deutschland notwendig?

Möst: Die Gasversorgung würde auch ohne diese zwei Optionen funktionieren und gesichert sein. Hinter beiden Projekten stecken aber auch politische Überlegungen. Nord Stream 2 und LNG-Terminals würden Deutschland mehr zum Durchleitungsland und zum Handelsplatz für Erdgas machen sowie für mehr Konkurrenz bei den bisherigen Durchleitungsländern für russisches Erdgas sorgen.

E&M: Eine Zukunftsoption ist Power-to-Gas, also die Erzeugung grünen Wasserstoffs/Gases mit erneuerbarem Strom. Ist es realistisch, Erdgas nach und nach durch grünes Gas ersetzen zu wollen, wie es die Gaswirtschaft anstrebt?

Möst: Ganz so einfach wird die Umstellung der Gasinfrastruktur auf Wasserstoff nicht sein, weil das Erdgasregelwerk der Beimischung von Wasserstoff enge Grenzen setzt. Die Infrastruktur lässt sich auch nicht so leicht ertüchtigen, weil bei höheren Wasserstoffanteilen wichtige Komponenten wie Gasturbinen oder Speicher Probleme machen würden. Die Aufbereitung von Wasserstoff zu grünem Methan würde die Probleme mit der Infrastruktur beseitigen, das grüne Gas allerdings aufgrund des zusätzlichen Aufbereitungsschrittes noch ein Stück weiter von der Wettbewerbsfähigkeit entfernen. Diese Themen soll ein Folgeprojekt zu Erdgas-BRidGe erörtern, bei dem wir den Übergang zu einer Wasserstoffinfrastruktur untersuchen wollen.

E&M: Grüne Gase sind noch sehr teuer und nicht wettbewerbsfähig. Kann man schon seriös erkennen, dass eine deutliche Kostensenkung möglich ist?

Möst: Bei Elektrolyseuren für die Wasserstoffproduktion sind Kostensenkungen zu erwarten. Energiekosten spielen jedoch ebenso eine Rolle. Auch wenn erneuerbarer Strom nach 20 Jahren EEG hinsichtlich der Gestehungskosten nun wettbewerbsfähig gegenüber konventionell erzeugtem ist, wäre per Elektrolyse daraus erzeugter Wasserstoff weit davon entfernt, wettbewerbsfähig zu konventionell mittels Dampfreformierung hergestelltem Wasserstoff auf Basis von Erdgas zu sein. Auch günstiger Überschussstrom wäre da keine Lösung, weil die Elektrolyseure damit nicht genügend Volllaststunden erreichen. Perspektivisch interessant könnte sein, Offshore-Windparks oder große PV-Anlagen direkt an Elektrolyseure und gar nicht ans Stromnetz anzuschließen. Solche Lösungen könnten bei CO2-Preisen von 150 bis 200 Euro je Tonne attraktiv werden.

E&M: Kann blauer Wasserstoff aus Erdgas beim Übergang zu grünen Gasen helfen?

Möst: Blauer Wasserstoff ist interessant, weil seine Nutzung schon bei deutlich niedrigeren CO2-Preisen zwischen 50 und 80 Euro je Tonne konkurrenzfähig werden kann. Für die Gaslieferländer verhindert er ein völliges Wegbrechen der Erdgasproduktion. Diese treiben auch die CCS-Technik zur unterirdischen Ablagerung des dabei entstehenden Treibhausgases voran. In Deutschland halte ich CCS jedoch gegenwärtig nicht für vorstellbar.

E&M: Ist es erforderlich, die Nutzung grüner Gase auf spezielle Bereiche zu begrenzen?

Möst: Grundsätzlich sollte man die Nutzung nicht begrenzen, allerdings ist Wasserstoff aufgrund der höheren Energiedichte und der höheren Umwandlungsverluste nur für bestimmte Anwendungen attraktiv. Zum Beispiel als Treibstoff für Luft- und Schwerlastverkehr oder als Substitut für konventionelle Industrierohstoffe zur Reduktion von Treibhausgasemissionen in der Stahlindustrie. Gegenwärtig ist eine Nutzung in diesen Anwendungen aufgrund der hohen Kosten ohne Förderung kaum umsetzbar. Insgesamt ist der momentane CO2-Preis zu niedrig, um grünen Wasserstoff konkurrenzfähig zu machen.

E&M: Erdgas wird in der Klimapolitik zunehmend kritisch betrachtet. Könnte es sein, dass sich energiewirtschaftliche Planungen mit Erdgas in absehbarer Zeit erübrigen, weil es wie Kohle und Kernkraft politisch nicht mehr durchsetzbar ist?

Möst: Ausschließen kann man das nicht. Die Abhängigkeit von Erdgas in der Energieversorgung ist jedoch noch sehr hoch, sodass eine rasche vollkommene Abkehr eher unwahrscheinlich erscheint. Außerdem könnten sich Abwägungen und Bewertungen zum Erdgas dadurch verändern, dass Umweltauswirkungen heute als sauber geltender Zukunftstechnologien, beispielsweise der Kobalt- und Lithiumbedarf für die Elektromobilität, stärker zum Thema werden. E&M


Erdgas als Brücke
Die künftige Rolle von Erdgas bei der Energiewende zu ergründen und zu analysieren, war Thema des Projekts „Erdgas-BRidGE“. Finanziert durch das Bundeswirtschaftsministerium untersuchten Wissenschaftler des Lehrstuhls für Energiewirtschaft an der TU Dresden und Experten des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln seit 2018, welche Unsicherheiten in der langfristigen Entwicklung des europäischen und deutschen Erdgasmarkts bestehen, wie kurz-, mittel- und langfristige Unsicherheiten in Erdgasmodellen abgebildet werden können, welche Bedeutung Erdgas künftig im Wärme- und Stromsektor einnehmen wird und welche Implikationen für die Ziele der Energiewende bestehen. Das Forschungsprojekt wurde geleitet von Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden. Der Abschlussbericht des zum Jahresende auslaufenden Projekts soll im Frühjahr 2021 erscheinen.
 

Mittwoch, 6.01.2021, 09:09 Uhr
Peter Focht

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