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Wenn Stromleitungen bei Nacht und Regen das Korona-Brummen bekommen, müssen Windkraftanlagen in der Nähe nicht still stehen. Ein entsprechendes Lärm-Urteil hat das OVG Münster gefällt.
Wenn eine Hochspannungsleitung „Korona“ hat – das hat nichts mit dem Virus zu tun –, dürfen Windkraftanlagen nicht darunter leiden. Dies ist die zugespitzte Interpretation eines Urteils des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) vom 12. Januar.
Der 8. Senat des Gerichts in Münster hatte in einem Fall zu entscheiden, in dem es um die Rechtmäßigkeit von zwei im münsterländischen Ahlen geplanten Windturbinen ging. Gegen die im Dezember 2021 erfolgte Genehmigung durch den Kreis Warendorf hatte ein Anwohner mehrere Bedenken geäußert. Die meisten der Klagegründe waren aber während der Verfahrensdauer durch Gesetzesänderungen in sich zusammengefallen, etwa der zum erforderlichen Abstand zu Wohngebäuden.
In Windeseile hatte der Ahlener Bürger dann noch ein vermeintliches Ass aus dem Ärmel gezaubert. Unmittelbar über seine auf dem Land liegenden Gebäude führt eine 380-kV-Leitung. Über die Geräusche, die von den Hochspannungskabeln manchmal ausgehen, wollte der Mann die beiden 200 Meter hohen Windkraftwerke noch verhindern. In Summe würde die Lärmbelastung das ertragbare Maß überschreiten, so die Argumentation.
Schwierige Beziehung von Brumm-Lauten und Rotoren-Geräuschen
Die Klägerseite hatte diesen Einwand laut Prozessordnung allerdings zu spät eingereicht. Dadurch war er eigentlich nicht zu berücksichtigen. Die Vorsitzende Richterin Annette Kleinschnittger öffnete dem Thema dennoch die Tür. Es gibt die Regelung, dass neue Erkenntnisse auch nachträglich Eingang finden dürfen, wenn sie ohne großen Aufwand nachzuvollziehen sind. Die sich in Tabellen und Gutachten verzettelnde Diskussion zwischen den Beteiligten zeigte allerdings, dass dies am selben Tage kaum möglich war.
Dennoch besprachen Befürworter und Gegner der Windkraftanlagen bald zwei Stunden lang, in welcher Lärm-Beziehung die Hochspannungsleitung und die beiden Turbinen zueinander stehen. Dabei wagten die Beteiligten sich auf Neuland. Denn die Nebengeräusche von Stromtrassen sind bisher kaum in der Windenergie-Rechtsprechung vorgekommen.
Konkret ging es um den seltenen Fall, wenn die Hochspannungsleitung nachts bei Regen oder Schnee Brumm-Laute von sich gibt. Dabei handelt es sich um Energieübertragung von den Kabeln an die Umgebungsluft, die sich dadurch zusammenzieht und dehnt. Das dabei entstehende Geräusch trägt den Namen Korona, es hat also nichts mit dem Corona-Virus zu tun.
Der Brummlaut entsteht durch Feuchtigkeit an den Leitungen. Nun wird es rechtlich etwas komplex. Vor dem OVG ging es um die Frage, ob Korona an Stromtrassen nachts als „seltenes Ereignis“ anzusehen ist, wie das Energiewirtschaftsgesetz es in Paragraf 49 (Abs. 2b) vorsieht. Bei seltenen Ereignissen ist den Menschen der Umgebung laut Gesetz eine höhere Lärmbelastung (55 dBA) zuzumuten. Diesen Standpunkt vertraten der Kreis Warendorf und der Windkraftprojektierer.
Damit wären die Windkraftanlagen aus dem Schneider. Denn sie selbst kommen nachts auf eine Lautstärke unterhalb des erlaubten Werts von 45 dBA. Der Kläger, im Publikum unterstützt von einer Abordnung einer Bürgerinitiative, argumentierte allerdings gegen den Aspekt der Seltenheit des Korona-Brummens. Würde diese Geräuschkulisse als regelmäßig angesehen, wären dieser Lärm und der der Windkraftanlagen nach einer speziellen Formel gewissermaßen zu addieren. Dann wäre der Grenzwert überschritten und die Rotoren müssten nachts bei Schnee oder Regen zeitweise den Dienst einstellen.
Keine Regensensoren an den Windtürmen nötig
Die Richterin wies schließlich die Klage des Anwohners vollständig ab und erlaubte den Weiterbau der beiden Anlagen. Sie stellte sich auf den Standpunkt, die Turbinen könnten „nichts dafür“, dass es an einer – übrigens schon lange existierenden – Stromtrasse selten zu einem Brummen komme. „Die Windkraftanlagen dürfen nicht scheitern, wenn sie selbst die für sie geltenden Grenzwerte einhalten“, so Richterin Annette Kleinschnittger.
Sie bestätigte damit auch die Rechtsauffassung des Anwalts der Betreiberseite, Franz-Josef Tigges (Kanzlei Engemann & Partner). Er hatte argumentiert, der Betrieb und der Bau neuer Hochspannungsleitungen seien im Sinne des Gesetzgebers, der damit den Transport des Stroms aus erneuerbarer Erzeugung sicherstellen wolle. Wenn im Umfeld von Stromtrassen dann aber die gewollten Windkraftanlagen beschränkt oder verhindert würden, wäre das mit Blick auf die Energiewende widersinnig.
Dem Betreiber bleibt nun auch das Anbringen von Regensensoren an den Windturbinen erspart. Mit den Detektoren hätte ein Abschalten der Anlagen im Bedarfsfall erfolgen können, also nur bei einsetzendem Regen oder Schnee. Ohne solche Technik hätten der nächtliche Stillstand und damit deutliche (Strom-)Ertragseinbußen gedroht. Davor bleiben die Ahlener Anlagen verschont. Sie werden nun zügig zu Ende gebaut, weil das OVG eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen hat.
Freitag, 12.01.2024, 16:52 Uhr
Volker Stephan
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