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Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich noch nicht auf weitere Eingriffe in die Energiemärkte verständigt – aber die Kommission damit beauftragt, sie vorzubereiten.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach nach den mehr als zehnstündigen Beratungen von einem „großen Schritt vorwärts“, auf den sich der Ministerrat am 21. Oktober in Brüssel verständigt habe. In den einstimmig angenommenen Schlussfolgerungen wird die Kommission aufgefordert, zusätzliche Maßnahmen zu prüfen und zu bewerten.
Die Beschlüsse seien „ein klares Signal an die Märkte, dass die EU einig und entschlossen sei, gegen jede Form der Spekulation vorzugehen“, sagte der französische Staatspräsident Emanuel Macron. In den nächsten Wochen erwarte man keine Theorien mehr von der EU-Kommission, sondern konkrete Fortschritte: „Am wichtigsten sind jetzt ein Höchstpreis und ein Preiskorridor für Gas, damit wir unsere Verbraucher und unsere Unternehmen schützen können.“
Im Einzelnen beschlossen die Regierungschefs, die Kommission solle konkrete Vorschläge unterbreiten, wie der gemeinsame Gaseinkauf abgewickelt werden kann. Es gehe darum, den Unternehmen zu ermöglichen, Einkaufskonsortien zu bilden, um im nächsten Frühjahr die Gasspeicher zu füllen, ohne in einen Überbietungswettbewerb zu geraten, sagte von der Leyen.
TTF-Preise in der Kritik
Mindestens 15 % des Speicherbedarfs sollen als Nachfrage gebündelt werden, um das „kollektive, marktpolitische Gewicht der Union zum Tragen zu bringen“. Die dafür geschaffene Energieplattform soll auch den Partnerländern der EU zum Beispiel auf dem Westbalkan zur Verfügung stehen.
Bis Anfang nächsten Jahres soll die Kommission einen „zusätzlichen Richtwert“ vorlegen, der Angebot und Nachfrage auf dem Gasmarkt besser widerspiegelt als die Notierungen an der niederländischen Handelsplattform TTF. Ein „befristeter, dynamischer Preiskorridor“ soll dafür sorgen, dass die Gaspreise weniger schwanken. Gleichzeitig müsse sichergestellt sein, dass die Versorgung der EU mit Gas dadurch nicht gefährdet werde. Es gehe vor allem darum, „Preisspitzen“ zu vermeiden, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz.
Prüfen soll die Kommission auch das sogenannte „iberische Modell“. Spanien und Portugal haben für Gas, das zur Stromerzeugung eingesetzt wird, einen Höchstpreis verfügt und subventionieren die Differenz zum Marktpreis für Gas. Die Prüfung soll unter der Maßgabe erfolgen, dass die Merit-Order nicht verändert wird, der Gasverbrauch nicht steigt und kein subventionierter Strom in Drittstaaten abfließt.
Scholz sagte dazu, die Kommission solle prüfen, ob das iberische Modell funktionieren könne. Sein österreichischer Amtskollege Karl Nehammer zeigte sich zufrieden: „Deutschland ist jetzt bereit, das iberische Modell zu diskutieren.“ Es werde allerdings länger dauern, bis alle damit verbundenen Fragen geklärt würden. Dagegen rechnet Nehammer schon sehr bald mit einem Vorschlag der Kommission zur Einführung eines Preiskorridors.
Die Kommission soll außerdem prüfen, wie die Funktionsweise der Energiemärkte verbessert und ihre Transparenz erhöht werden kann. Die Volatilität der Preise und der daraus resultierende „Liquiditätsstress“ sollen abgebaut werden, ohne die Finanzstabilität zu gefährden.
Ziel: eine vollständige Energieunion
Um den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Leitungsnetze zu beschleunigen, sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Die Anstrengungen zum Einsparen von Energie sollen intensiviert und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten bei Störungen der Gasversorgung gestärkt werden.
Schließlich ersuchen die Staats- und Regierungschefs die Kommission, ihre Arbeit an der Strukturreform des Elektrizitätsmarktes zu beschleunigen. Ziel sei eine „vollständige Energieunion, die dem Doppelziel der europäischen Energiesouveränität und der Klimaneutralität dient“.
Keine Beschlüsse wurden zur Finanzierung gefasst. Allerdings könne die EU zur Unterstützung einzelner Mitgliedsstaaten auf den Corona-Fonds und andere bereits bewilligte Mittel zurückgreifen, sagte Bundeskanzler Scholz nach den Beratungen. Die Kommissionspräsidentin verwies in diesem Zusammenhang auf 40 Mrd. Euro aus der abgelaufenen Finanzierungsperiode 2014–2020, die für Haushalte und Unternehmen bereitgestellt werden könnten, die von der Energiekrise besonders betroffen seien. Zusätzliche Mittel auf europäischer Ebene würden benötigt, damit die Unternehmen mehr in die Energiewende investierten.
Von der Leyen kündigte außerdem neue Leitlinien für die Genehmigung von Beihilfen der Mitgliedsstaaten an. Das Kollegium werde sie in der nächsten Woche beschließen. Die Mitgliedsstaaten erhielten damit mehr Spielraum, um ihre Unternehmen zu unterstützen, ohne den Wettbewerb zu gefährden. Es gebe dann „gleiche Regeln für alle“.
Freitag, 21.10.2022, 16:47 Uhr
Tom Weingärtner
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