Quelle: Fotolia / saschi79
Die bayerische Wirtschaft will mehr Tempo bei der Energiewende. Sie setzt auf die Akzeptanz der Bevölkerung für eine zukunftssichere Versorgung, „die man in der Landschaft sieht“.
Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) sieht das Energiesystem im Freistaat stark unter Druck. Doch das Ziel der Staatsregierung steht: Bis zum Jahr 2040 – fünf Jahre schneller als der Bund – will man die Klimaneutralität erreicht haben. Wie das gelingen und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann, das haben jetzt Wirtschaftsvertreter auf einer gemeinsamen Podiumsveranstaltung der VBW und des Übertragungsnetzbetreiber Tennet beleuchtet. Ihre Kernforderung: mehr Tempo bei der Transformation.
„Bayern hat sich immer höherer Ziele gesteckt. Und wir haben sie auch immer erreicht“, gab sich VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt zuversichtlich. Seine Zuversicht knüpfte er jedoch eine Reihe Prämissen. „Wir müssen das Angebot vergrößern, dafür brauchen wir alle verfügbaren Energieträger“, sagte der Verbandschef. Jede erneuerbare Energiequelle, die Bayern zur Verfügung stehe, gelte es verstärkt zu nutzen.
„Massiver Ausbau der Windkraft“
Dazu gehöre ein „massiver Ausbau der Windkraft, bei der noch die größten Potenziale zu heben sind“, so Brossardt. Auch bei der Nutzung der grundlastfähigen Wasserkraft sei „längst nicht alles ausgereizt“. Unabdingbar seien die beschleunigte Fertigstellung der Stromleitungen aus dem Norden, der Netzausbau insgesamt müsse schneller vorankommen. „Wir müssen uns auch jetzt schon um die Planung einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur kümmern“, sagte der VBW-Chef.
Die verbliebenen Kernkraftwerke sollen nach dem Willen der Wirtschaft „im Dauerbetrieb“ über den 15. April hinaus weiterlaufen. „Wir sind durchaus für den Ausstieg, aber vernünftigerweise doch erst, wenn die Krise überwunden ist.“
Brossardt, selbst viele Jahre in bayerischen Ministerien tätig, sieht die weiß-blauen politischen Weichenstellungen in der Vergangenheit kritisch: „Wir müssen bei der Energiewende auch in Bayern den Turbo zünden, ich will da nicht in den Rückspiegel schauen.“ In Richtung Berlin, wo „in den letzten Monaten einiges daneben gegangen“ sei, sagte Brossardt: Der nächste Schuss müsse sitzen, und dazu gehöre, „dass der Staat selbst Verzicht übt und die Stromsteuer und alle anderen vom ihm ausgehenden Energiekostenanteile zurückführt.“
Die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber Windkraftanlagen oder Stromleitungen sind nach Wahrnehmung des VBW in der aktuelle Krise deutlich geringer geworden. „In den vergangenen Monaten ist immer mehr Menschen bei uns im Land bewusst geworden, dass eine zukunftssichere Energieversorgung keine Selbstverständlichkeit ist. Sie ist nur zu haben, wenn man sie in der Landschaft auch sieht“, sagte Brossardt.
Drei Kernelemente für eine erfolgreiche Energiewende
Tennet-Vorstand Tim Meyerjürgens nannte drei Kernelemente für eine erfolgreiche Energiewende. „Wir brauchen Netzausbau auf allen Ebenen – im Verteilnetz, im Übertragungsnetz“, sagte er. Sein Appell: „Wir müssen den Netzausbau in Deutschland zur Chefsache machen.“ Dass in bayerischen Behörden 40 neue Stellen geschaffen worden seien, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, nannte er ein „gutes Signal“. Das alleine reiche aber nicht. „Die Politik muss den Genehmigungsbehörden die Sicherheit geben, dass dieser Netzausbau im überragenden öffentlichen Interesse ist.“ Die Verfahren, so Meyerjürgens, müsste so beschleunigt werden, dass „wir sie ungefähr in der gleichen Zeit abwickeln können, wie für den Bau brauchen“.
Als ein weiteres Kernelement für die Energiewende nannte Meyerjürgens die Digitalisierung: „Wir müssen die vorhandene Infrastruktur deutlich besser nutzen. Dafür brauchen wir Innovationen und mehr Digitalisierung im Netz.“ Als dritten wichtigen Punkt verwies der Energiemanager auf die Systemintegration.“ „Wir müssen das Energiesystem als Gesamtes planen, und nicht mehr in einzelnen Sektoren denken.“
Im Hinblick auf die künftige Wasserstoff-Infrastruktur wies Meyerjürgens auf die Bedeutung „netzdienlicher“, großskaliger Elektrolyseure hin, wie sie an der norddeutschen Küste möglich sind. „Wenn sich die Elektrolyseure am Strombedarf ausrichten, dann können wir große Mengen am Netzausbau einsparen.“
Glaubt man Christian Hartel, wird eine rasche Transformation zur Klimaneutralität in Deutschland mitnichten an der Industrie scheitern. Sein Eindruck: „Es gibt kaum ein Land, in dem so viele Industrieunternehmen bereit sind, diesen Weg zu gehen“, sagte der Chef von Wacker Chemie bei der Veranstaltung. Das Unternehmen hat kürzlich ein Projekt gestartet, das auf den Bau von Windkraftanlagen in benachbarten Staatsforsten zielt. Rund zehn Prozent des Energiebedarfs im ostbayerischen Chemiedreieck sollen so abgedeckt werden. Was die Akzeptanz von Windenergieanlagen angeht, schwebt Hartel die Beteiligung von Kommunen vor, um so vielleicht eine neue Denkweise anstoßen zu können. Ihm schwebt das Bild von Menschen im Biergarten vor, die das Wort "anstoßen" wörtlich nehmen − im Sinne von „Da dreht sich was da hinten, heute ist aber ein guter Wind. Die nächste Maß geht aufs Windrad!“.
Dienstag, 8.11.2022, 14:56 Uhr
Manfred Fischer
© 2024 Energie & Management GmbH