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Schlussverkaufsstimmung bei Abstandsregeln für Windkraft. Bevor der Bund das 2-%-Flächenziel zum Gesetz macht, greifen die Länder schnell noch zu. Jetzt Thüringen – über die Opposition.
Das "überragende öffentliche Interesse" für die erneuerbaren Energien interpretiert die Politik bundesweit durchaus anders als der Wirtschaftsminister der Berliner Ampelkoalition, Robert Habeck (Grüne). In Thüringen könnte nun der nächste, dann fünfte Föderalstaat Habeck ins Handwerk pfuschen, der gerne 2 % der Fläche Deutschlands für die Windenergie festschreiben würde.
Nun steckt das Flächenziel seit geraumer Zeit in den Mühlen der Politik und steht im Widerspruch zu regionalen Bestimmungen. Ausbauunwillige Bundesländer wie Bayern oder Sachsen haben von einer Länderöffnungsklausel Gebrauch gemacht und im Baugesetzbuch eigene Abstandsregeln festgelegt. Wahlweise müssen Turbinen eine Distanz im Umfang des Zehnfachen ihrer Höhe zur Wohnbebauung wahren (Bayern) oder schlicht einen Mindestabstand von 1000 Meter, ganz neu in Sachsen und Brandenburg, schon länger in Nordrhein-Westfalen. Diese Regelungen erschweren es, geeignete Flächen im für das Zwei-Prozent-Ziel erforderlichen Umfang zu finden.
Thüringens CDU kokettiert mit unheiliger Allianz mit der AfD
Thüringen könnte in dieser Woche nach Pfingsten als fünftes Bundesland hinzukommen. Politisch interessant wird es dadurch, dass mit der CDU eine Oppositionsfraktion im Erfurter Landtag den Stein ins Rollen bringt. Jetzt sind Gesetzesentwürfe von Nicht-Regierenden nicht per se aufregend, sie gehören zu den guten demokratischen Spielregeln. Brisant ist der Entwurf zur "Einführung einer Abstandsregelung von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung" deswegen, weil die Christdemokraten ihn zur Not mit Hilfe der AfD durchboxen würden.
Die Möglichkeit dazu hat die CDU, weil in Thüringen seit März 2020 eine Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen im Amt und auf Unterstützung aus dem Oppositionslager angewiesen ist. Umgekehrt bedeutet dies, dass eine Mehrheit jenseits der regierenden Koalition besteht. Allerdings ist dafür neben der FDP mit der AfD auch die größte Oppositionsfraktion einzubeziehen. Und darauf spekuliert die thüringische CDU offenbar mit ihrem Gesetzentwurf. Es wäre das erste Gesetz, das mithilfe der AfD zustande käme. Das Wort "Eklat" macht bereits die Runde.
Die Bundespolitik reagiert auf diese Strategie mit der erwarteten Schärfe. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert forderte den CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz auf, seinen Einfluss auf die CDU Thüringens geltend zu machen. Ein von der Zustimmung der AfD abhängiger Gesetzentwurf sei zu verhindern, es wäre "ein Gesetz von Höckes Gnaden", so Kühnert in Anspielung auf den rechtsextremen Politiker, der AfD-Fraktionschef in Thüringen ist und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Emily Büning, politische Geschäftsführerin der Grünen, forderte von Merz, die von ihm propagierte "Brandmauer zur AfD" müsse stehen.
Gespräche über Rücknahme des Gesetzentwurfs laufen
Der Landtag in Erfurt kommt am 8. Juni zusammen. Ob der Gesetzentwurf der CDU dann noch auf der Tagesordnung steht, ist offen. Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) hat der CDU über das Pfingstwochenende eine Zusammenarbeit in Windkraft-Fragen angeboten. Voraussetzung sei, dass der Gesetzentwurf zunächst auf Eis gelegt werde. CDU-Fraktionschef Mario Voigt signalisierte Gesprächsbereitschaft noch vor der anstehenden Plenarsitzung.
Das Machtspiel der CDU in Thüringen ist auch dazu gedacht, Robert Habecks Energiewendepläne zu schwächen. Die besagte, vom Bund seinerzeit geschaffene Öffnungsklausel im Baugesetzbuch erlaubt es Ländern, eigene Abstandsregelungen für Windkraftanlagen zur Wohnbebauung zu schaffen. Sollte Habeck hier eingreifen, behielten zuvor in Kraft getretene Ländergesetze Gültigkeit.
Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) in Sachsen hatte zuletzt gegenüber unserer Redaktion darauf verwiesen, dass Habeck nur eine Möglichkeit bliebe, die diversen Distanzvorgaben zu neutralisieren. Er selbst müsse im Baugesetzbuch eine verbindliche Abstandsmarke setzen, die alle anderen außer Kraft setzt. Nicht zuletzt mit dem Berliner Koalitionspartner FDP, der in den Ländern häufig Treiber der Vorgaben war, sind schwierige Verhandlungen darüber zu erwarten.
Thüringen zählt mit 871 Windturbinen, die Ende 2021 in Betrieb waren, und 1.730 MW installierter Leistung zu den Schlusslichtern im Vergleich der Bundesländer. Der Bundesverband Windenergie (BWE) verzeichnete zum Jahreswechsel bundesweit 28.230 Anlagen mit insgesamt 56.130 MW.
Dienstag, 7.06.2022, 14:05 Uhr
Volker Stephan
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