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Im Europäischen Parlament ist man zufrieden mit der Reform des Emissionshandels. Fast alle Fraktionen tragen den Kompromiss mit. In den Verbänden aber herrscht vor allem Skepsis.
Die Verhandlungsführer des Europäischen Parlamentes und des Ministerrates hatten sich in der Nacht zum 18. Dezember auf anspruchsvollere Klimaziele und das dazugehörige Instrumentarium verständigt: Industrie und Elektrizitätswirtschaft müssen ihre Emissionen bis 2020 um 62 Prozent senken, zu ihrem Schutz wird schrittweise ein Klimazoll eingeführt, der Emissionshandel wird auf den Verkehr, Gebäude und Kleingewerbe ausgedehnt und ein Klimasozialfonds soll bis 2032 die sozialen Folgen abfedern.
Die EU werde der Welt damit zeigen, "dass Klimaschutz und die Sicherung von Arbeitsplätzen“ zusammenpasse, sagte der Berichterstatter des Europäischen Parlamentes, Peter Liese (CDU) in der Nacht zum Sonntag. Das Parlament habe sich nicht in allen, aber in vielen Punkten durchgesetzt. Für Deutschland und die EVP sei vor allem die Ausweitung des Emissionshandels von großer Bedeutung. Der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin, betonte, die Bepreisung von CO2, das durch Heizungen und im Verkehr freigesetzt wird, werde 2027 nur unter der Bedingung eingeführt, dass die Energiepreise bis dahin zurückgingen und der Preis auf 45 Euro je Tonne begrenzt werde.
Die jetzt gefundenen Lösungen seien für die deutsche Industrie wesentlich vorteilhafter als die Vorschläge der EU-Kommission, betonte Liese. Sie erhalten vor allem in der Anfangsphase mehr kostenlose Zertifikate und mehr Fördermittel, um die notwendigen Investitionen vorzunehmen. Im ETS stünden bis 2026 deutlich mehr Zertifikate zur Verfügung. Liese rechnet damit, dass der CO2-Preis bis dahin auf dem gegenwärtigen Niveau bleibt, danach aber auch über 100 Euro/Tonne steigen könnte. „Unsere Botschaft ist klar: Wer in den nächsten vier Jahren seine Emissionen senkt, wird in einer guten Position sein.“ Unternehmen, die diese Chance nicht sähen, hätten den Kompromiss entweder nicht gelesen oder sie wollten ihre Emissionen nicht reduzieren.
"Starker Anreiz für Unternehmen"
Auch der grüne Verhandlungsführer, Michael Bloss, sieht in dem Ergebnis einen starken Anreiz für die Unternehmen: „Nun ist klar, dass Verschmutzer zahlen und nachhaltige Industrien Vorreiter sein werden.“ Den Grünen sei es zwar gelungen, eine Abschwächung des Pakets zu verhindern, „aber das Erreichte reicht nicht aus, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen." Es handele sich also nur um einen ersten Schritt zur Energie- und Klimawende.
Die SPD wollte die Ausweitung des Emissionshandels auf die privaten Haushalte zwar verhindern, ihr klimapolitischer Sprecher, Timo Wölken, tröstet sich aber damit, dass der Preis auf 45 Euro/Tonne begrenzt bleiben soll: „Wie gut dieser Mechanismus funktioniert, muss laufend überprüft werden.“ Die SPD setze außerdem auf den Klimasozialfonds, der soziale Härten abfedern soll.
Die Vertreter der Linken haben dem Kompromiss mit dem Ministerrat zwar zugestimmt, sehen darin aber kein ausreichendes Ergebnis. Die vorgesehenen Emissionssenkungen blieben hinter den Erfordernissen des Pariser Abkommens zurück und der Anschluss auch sozial schwacher Haushalte an die Energiewende sei nicht gesichert.
Dagegen unterstrich Kommissions-Vize-Präsident Frans Timmermans: „Mit dem Klimasozialfonds stellt die EU sicher, dass die sozial Schwächsten geschützt werden und wir ihnen helfen, Teil der Energie- und Klimawende zu werden.“ Ein höherer CO2-Preis werde für mehr Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft und dafür sorgen, dass die Emissionen schneller und weiter sinken.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht in der Reform des ETS einen wichtigen Beitrag, um Deutschland unabhängiger von fossiler Energie zu machen: „Aus deutscher Sicht ist die Einigung ein Durchbruch für den Klimaschutz, der gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Industrie und die soziale Abfederung notwendiger Klimamaßnahmen sichert.“
CAN: Ziel verfehlt
Für das Klimanetzwerk CAN und Carbot Market Watch hat die EU allerdings das Ziel verfehlt, den Emissionshandel zu einem effektiven Instrument der Klimapolitik zu machen. Durch Gratiszertifikate im Wert von 400 Milliarden Euro werde die Industrie weiter darin bestärkt, an der fossilen Technik festzuhalten. Die Einführung der Grenzausgleichsabgabe komme zu spät und zu langsam. Die Mitgliedsstaaten müssten die Einnahmen aus dem ETS zwar vollständig an die Wirtschaft zurückgeben, dürften aber auch Investitionen in Gaskraftwerke fördern.
Auch die Stahlindustrie ist unzufrieden. Man sei sehr besorgt darüber, dass es keine Lösung für das Problem der Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten gebe, sagt der Direktor von Eurofer, Axel Eggert: „Stahlexporte von 45 Milliarden Euro sind durch einen exponentiell steigenden CO2-Preis existentiell bedroht, denn auf den Märkten unserer Handelspartner gibt es nichts Vergleichbares.“ Investitionen in neue Technologien machten nur Sinn, wenn grüner Strom und Wasserstoff zu günstigen Preisen und in ausreichendem Maß zur Verfügung stünden – was nicht der Fall sei.
Zweifel an der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen gegen Wettbewerber, die ohne CO2-Bepreisung produzieren, hat auch die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). Handelskonflikte müssten ebenso vermieden werden wie eine bürokratische Belastung der Unternehmen. Die Streichung der Gratiszertifikate für Exportunternehmen sei nur akzeptabel, wenn die Exporteure ihre CO2-Kosten erstattet bekämen.
Montag, 19.12.2022, 16:38 Uhr
Tom Weingärtner
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