Hier wird der Wasserstoff für das Öhringer Inselnetz erzeugt und gespeichert, Quelle: Netze BW
Mit seinem Projekt "Wasserstoff-Insel Öhringen" will Netze BW zeigen, dass heute schon ein Anteil von 30 % Wasserstoff im Erdgasnetz möglich ist. Ein anderes Vorhaben strebt 100 % an.
Schon in den nächsten Tagen soll es losgehen: Rund 30 Haushalte, die sich an Straßenzügen in der Nähe der Betriebsstelle im baden-württembergischen Öhringen, rund 70 Kilometer nordöstlich von Stuttgart, befinden, sollen zur „Insel“ werden – das heißt, sie werden an ein separiertes Erdgasnetz angeschlossen. In das will Netze BW Wasserstoff einspeisen, und zwar bis zu einem Anteil von 30 %.
Nach Angaben des Unternehmens ist das zurzeit der höchste Wert in Deutschland. Zwar arbeitet auch Gasnetz Hamburg beim Projekt "My Smart Life" schon mit dieser Quote. Allerdings versorgt der Gasmix Blockheizkraftwerke und fließt nicht in Haushalte. Versuche mit 20 % sind deutschlandweit allerdings bereits mehrere im Gange. Den Anfang gemacht hatte Netze BW mit der Versorgung der eigenen Betriebsstelle. Die Erhöhung des Wasserstoffanteils verlief ohne Probleme, wie Projektleiterin Heike Grüner versichert.
Der Versorger will mit dem Projekt zeigen, dass der 30-%-Anteil heute schon möglich ist – ohne aufwendige Anpassung der bestehenden Infrastruktur, seien es Verbrauchsgeräte, Versorgungsleitungen oder Armaturen. Gleichwohl sollen mögliche Auswirkungen gründlich untersucht werden. Hierzu sind Branchenexperten beteiligt, ebenso Fachhandwerker aus den Bereichen Sanitär, Heizung und Klima, der Tüv Süd sowie Gerätehersteller und Forschungsinstitute. Auch Schornsteinfeger sind mit im Boot, die Feuerwehr ist ebenfalls unterrichtet. Anwohner und Kommunalpolitiker stehen dem Ganzen ebenfalls aufgeschlossen gegenüber. "Mit diesem wegweisenden Forschungsvorhaben sind wir am Puls der Zeit und hier werden wichtige Weichen für die Zukunft gestellt", erklärte Öhringens Oberbürgermeister Thilo Michler (parteilos) im Vorfeld.
Direkte Kopplung von Stromerzeugung und Wärmeversorgung
Der Wasserstoff für den Versuch wird mit einem Elektrolyseur auf dem Gelände von Netze BW in Öhringen erzeugt, der mit grünem Strom arbeitet. Und er steht im Kleinen für das große Ziel des Projekts: Zu zeigen, dass Gasnetze bei der Speicherung erneuerbarer Energien eine entscheidende Rolle spielen können. Wird witterungsbedingt mehr Strom erzeugt als gebraucht wird, kann der in Wasserstoff umgewandelt, ins Gasnetz eingespeist und darin transportiert und gespeichert werden. Auf diese Weise werden Stromerzeugung und Wärmeversorgung direkt miteinander verbunden. Diese Sektorenkopplung ist eine zentrale Voraussetzung, um die Klimaziele zu erreichen. Und sie kann auch helfen, Engpässe im Stromnetz abzumildern: Die Erneuerbaren können durch Elektrolyseure verstärkt vor Ort verbraucht werden.
"Die Beimischung von Wasserstoff in unseren Erdgasnetzen ist der erste Schritt. Hiermit zeigen wir, dass es technisch funktioniert", erklärte Martin Konermann, Geschäftsführer von Netze BW. "In Zukunft wird in unseren Gasnetzen dann 100 Prozent Wasserstoff fließen. Und wir denken die Geschichte zu Ende“, betonte er. Schließlich sei das Ziel, auch im Wärmesektor CO2-Emissionen vollständig zu vermeiden. "Das wird uns nur durch die Nutzung von grünem Wasserstoff gelingen", ist er sich sicher.
Neubaugebiet mit reinem Wasserstoff in Oberbayern geplant
Das Ziel 100 % Wasserstoff haben die Energie Südbayern (ESB) und die Thüga ebenfalls. Ab der Heizperiode 2023/2024 soll ein Neubaugebiet mit zehn Häusern im oberbayerischen Markt Hohenwart, 65 Kilometer nördlich von München, komplett mit reinem Wasserstoff versorgt werden, dazu eine Gärtnerei.
Marcus Böske, Sprecher der Geschäftsführung bei ESB: "H2Direkt ist eines der wichtigsten Pilotprojekte in Deutschland, um die enormen Potenziale der Gasnetze für eine klimaneutrale Wärmeversorgung aufzuzeigen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um Versorgungssicherheit bietet grüner Wasserstoff zudem eine klare Perspektive."
Aktuell befindet sich das Vorhaben in der Konzipierungsphase, wie die Projektpartner mitteilen. Der Ansatz unterscheidet sich allerdings grundlegend vom Netze-BW-Projekt: So sollen spezielle H2-Brennwertgeräte der Firma Vaillant zum Einsatz kommen, während man in Öhringen mit konventionellem Gas-Equipment weiterarbeitet.
Die Thüga übernimmt bei dem Versuch vor allem konzeptionelle und strategische Aufgaben. Ergebnisse und Erfahrungen will sie mit den rund 100 Partnerunternehmen der Thüga-Gruppe teilen. Die ESB soll für die Umsetzung und technische Betreuung des Feldtests vor Ort zuständig sein.
Montag, 27.06.2022, 16:27 Uhr
Günter Drewnitzky
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