Quelle: E&M
Umweltschützer halten die CCS-Technik für eine Mogelpackung. Die anspruchsvollen europäischen und deutschen Klimaziele sind ohne „Carbon Management“ (CM) aber nicht zu erreichen.
Die Europäer haben sich festgelegt: Bis 2050 sollen in der EU „netto“ keine Treibhausgase mehr freigesetzt werden. Deutschland will sogar 2045 „klimaneutral“ sein. Aber die Industrie wird auf absehbare Zeit nicht ohne fossile Energie auskommen. Sie arbeite intensiv daran, ihre Emissionen zu reduzieren, sagt der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic. Aber in bestimmten Sektoren wie der Zementindustrie sei das schwierig und kostspielig. Innovative Technologien zur Abscheidung, der Transport und die Speicherung von CO2 sollten deswegen gefördert werden: „Wenn wir ihre Einführung beschleunigen, können wir unsere Klimaziele leichter erreichen und unsere Industrie in Zeiten großer geopolitischer Veränderungen wettbewerbsfähiger machen.“
In den nächsten Jahren soll in der EU eine komplette CO2-Lieferkette entstehen: Kohlendioxid, das in chemischen Fabriken, Zement- oder Kraftwerken entsteht, würde mit entsprechenden Anlagen aufgefangen, über Pipelines, per Schiff, Bahn oder Lkw weitertransportiert und am Ende entweder verarbeitet oder in geologisch geeigneten Endlagern deponiert.
Um ihre Klimaziele zu erreichen, müsse die EU bis 2030 in der Lage sein, mindestens 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr abzuscheiden. Diese Kapazität müsse bis 2050 auf 450 Millionen Tonnen erhöht werden, heißt es in einer Mitteilung der Kommission.
Sie geht davon aus, dass in Kraftwerken, die fossile Brennstoffe oder Biomasse einsetzen, auch 2050 noch mindestens 100 Millionen Tonnen CO2 anfallen. Etwas mehr Kohlendioxid entstehe bei industriellen Prozessen zum Beispiel in der chemischen Industrie. 100 bis 200 Millionen Tonnen CO2 müssten der Atmosphäre direkt entzogen werden.
Die Einlagerung soll vor den deutschen Küsten, aber nicht an Land erlaubt werden
Der größte Teil des abgeschiedenen und aufgefangenen CO2 soll in geologischen Formationen gelagert werden, die dafür geeignet sind. Ein wachsender Teil des verbleibenden CO2 kann zur Herstellung neuartiger Baustoffe, synthetischer Kraftstoffe und von Chemikalien verwendet werden.
Bislang setzen 20 Mitgliedstaaten der EU zur Erreichung ihrer Klimaziele auf die Einlagerung (CCS) und/oder die Verwendung (CCU) von Kohlendioxid. Am weitesten fortgeschritten sind Pläne zur Einlagerung von CO2 in Dänemark und den Niederlanden, die den Einsatz von CCS auch staatlich fördern.
In Deutschland stand man solchen Plänen bislang reserviert gegenüber. Für die Gesundheit und das Klima berge die CCS-Technik „unkalkulierbare und generationsübergreifende Risiken“, warnt der BUND. Die Klimalobby fürchtet, dass die Abscheidung und Einlagerung von CO2 Investitionen in emissionsmindernde Technologien behindert.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck will sich von den Bedenkenträgern seiner grünen Basis aber nicht mehr einschüchtern lassen. Für die nicht vermeidbaren Emissionen sollen CCS und CCU in Zukunft auch in Deutschland möglich sein. „Ein Verzicht darauf würde uns Wettbewerbsnachteile verschaffen und teuer zu stehen kommen“, sagt er laut einer Mitteilung seines Hauses.
Habeck denkt dabei vor allem an Stahl- und Zementwerke, aber auch an den Aufbau eines Pipelinenetzes für den Transport von CO2. Die Einlagerung soll vor den deutschen Küsten (offshore), aber nicht an Land (onshore) erlaubt werden. Ausgeschlossen sind Meeresschutzgebiete.
Der Gesetzentwurf des BMWK sieht vor, dass die bestehenden Hürden für den Einsatz von CCS/CCU in Deutschland nicht nur beseitigt werden. Es soll auch eine staatliche Förderung geben − außer bei Kraftwerken. CO2, das bei der Stromerzeugung aus Erd- oder Biogas entsteht, könnte mit CCS entsorgt werden. Nur Emissionen aus der Kohleverstromung sollen keinen Zugang zu CO2-Pipelines erhalten.
Das Gesetz sieht ein einheitliches Zulassungsregime für den Bau und den Betrieb von Kohlendioxidleitungen vor und ermöglicht den Export von CO2 sowie die Lagerung im Ausland und auf hoher See. In der Ausschließlichen Wirtschaftszone vor den deutschen Küsten darf in Zukunft nach möglichen Lagerstätten gesucht werden.
CCS und CCU seien eine „notwendige Ergänzung der Klimapolitik“, sagt Habeck. Seine Kritiker beruhigt der Minister mit dem Hinweis auf die in den letzten Jahren gemachte Erfahrung beim Einsatz von CCS und CCU in anderen Ländern: „Diese Technologie ist sicher. Risiken sind − wie die im Bergbau oder in der Chemieindustrie − managebar.“
Schützenhilfe bekommt Habeck von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) und der Leopoldina. In einer gemeinsamen Untersuchung kommen sie zu dem Ergebnis: „Das Risiko, ohne den Einsatz von CCS die Klimaziele zu verfehlen, überwiegt die Risiken der CCS-Anwendung.“ In einzelnen Branchen wie der Zementindustrie oder der Landwirtschaft sei keine Technologie verfügbar, um Treibhausgase komplett zu vermeiden.
Es fehlt ein Gesamtkonzept für die Industrie
Grundsätzlich gehe es darum, ein Gesamtkonzept für die Industrie und CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre (Carbon Dioxid Removal: CDR) zu entwickeln. CCS, CCU und CDR seien auf die gleiche Infrastruktur angewiesen, ihre Potenziale seien begrenzt und es könnten Nutzungskonflikte entstehen: „Diese drei Bausteine des Kohlenstoffmanagements müssen von Beginn an zusammen gedacht und aufeinander abgestimmt reguliert werden.“
Auch auf europäischer Ebene steht man hier noch am Anfang, ist aber schon weiter als die Deutschen. Einen wichtigen Anreiz zum Einsatz von CCS und CCU stelle der Emissionshandel (ETS) dar, heißt es in Brüssel. Die Beihilferegeln der Union erlauben es den Mitgliedstaaten, ihren Einsatz finanziell zu fördern. CCS und CCU gelten in der EU als „strategische Technologien“, die schneller genehmigt und auch von der EU gefördert werden können.
Die technologischen Lösungen, CO2 aufzufangen, sind nach Ansicht der Kommission verfügbar, ihr industrieller Einsatz stehe aber erst am Anfang. Potenzielle Lagerstätten seien grundsätzlich bekannt, müssten aber noch zu einsatzfähigen Deponien ausgebaut werden. Die größte Herausforderung sieht die Kommission darin, aus der CO2-Verwertung und -Entsorgung ein Geschäft zu machen. Immerhin koste es zwischen 13 und 103 Euro, eine Tonne industrielles CO2 aufzufangen. Hinzu kommen Transport und Lagerung.
Benötigt werde eine Regulierung für die gesamte Wertschöpfungskette, die den besonderen Risiken der Branche Rechnung trage. Erwähnt werden in diesem Zusammenhang beispielsweise die Haftung für Lecks in den Leitungen und Speichern oder die Abstimmung bei grenzüberschreitenden Projekten: „Die Abscheidung und Einlagerung von CO2 muss von allen Regierungen in der EU als legitime und notwendige Option zur Dekarbonisierung anerkannt werden.“
Ziel der Kommission ist ein Binnenmarkt für CO2 mit einheitlicher Regulierung. Der Aufbau der CO2-Lieferkette erfordere allerdings Investitionen in Milliardenhöhe. Sie sollen vor allem von der Industrie aufgebracht werden. Allein für die bis 2030 anvisierten Deponien für 50 Millionen Tonnen CO2 veranschlagt die Kommission Investitionen von 3 Milliarden Euro. Hinzu kommen 12,2 Milliarden Euro für die Transportinfrastruktur. Bis 2040 kämen weitere 16 Milliarden Euro hinzu. Die ersten Projekte könnten sicher nicht ohne öffentliche Anschubfinanzierung realisiert werden, heißt es in Brüssel. Aber dafür stünden im Innovationsfonds der EU 3,3 Milliarden Euro zur Verfügung.
Am Ende sollen CCS, CCU und der Transport von Kohlendioxid kreuz und quer durch Europa ein großes Geschäft werden. Die Beamten der Kommission haben ausgerechnet, dass sich die Umsätze der künftigen CO2-Branche zwischen 45 und 100 Milliarden Euro bewegen. Das könnte die Grundlage für bis zu 170.000 neue Arbeitsplätze werden.
Montag, 6.05.2024, 08:17 Uhr
Tom Weingärtner
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