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Der Rückgang des CO2-Preises im Europäischen Emissionshandel (ETS) weckt Zweifel an der Wirksamkeit des ETS als Instrument der Klimapolitik.
Neben den Umweltverbänden ist vor allem die Konkurrenz der fossilen Energien alarmiert: „Niedrige CO2-Preise verlangsamen die Dekarbonisierung des Elektrizitätssektors“, sagte die Europa-Direktorin des französischen Energiekonzerns EDF, Marion Labatut, dem Online-Dienst Euractiv: „Kohlekraftwerke produzieren jetzt vor Gaskraftwerken, die weniger CO2 ausstoßen.“ EDF verkauft vor allem Atomstrom.
Es bestehe außerdem die Gefahr, dass die Kommission in den nächsten beiden Jahren zusätzliche Emissionsrechte auf den Markt bringe, um die niedrigen Preise zu kompensieren. Denn die Einnahmen aus dem Emissionshandel sind auf nationaler und europäischer Ebene weitgehend verplant.
Dem hat der klimapolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, Peter Liese (CDU), widersprochen. Er bezeichnete das gegenwärtige Preisniveau im ETS von etwa 70 Euro/Tonne CO2 als ausreichend. Der CO2-Preis im ETS war Ende letzten Jahres zeitweise auf mehr als 100 Euro gestiegen, aber danach auf rund 60 Euro/Tonne zurückgegangen.
Mit dem jetzt erreichten Niveau liege der Preis weiter „deutlich über dem Niveau der letzten Jahre“, sagte Liese vor Journalisten. Er verwies darauf, dass die Industrie und die Energiewirtschaft vor 2018 weniger als 20 Euro pro Tonne CO2 zahlen mussten. Inzwischen habe man den damals angepeilten Zielwert von 30 Euro/Tonne weit überschritten und es würden weniger Gratis-Zertifikate zugeteilt. Das sei angesichts der anspruchsvolleren Klimaziele richtig, ein CO2-Preis von 100 Euro und mehr sei trotzdem „keinesfalls wünschenswert“. Als Ursache des jüngsten Preisrückgangs hat Liese den Einbruch der Industrieproduktion in Deutschland und Europa ausgemacht. Vor allem energieintensive Unternehmen würden Investitionen in Drittstaaten verlagern.
„Ein zu hoher ETS-Preis kann den Rückgang der Industrieproduktion in der EU beschleunigen“, so Liese. Er verwies darauf, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien ebenso Zeit brauche wie Investitionen zur Dekarbonisierung der Industrie. Viele Projekte könnten erst im Laufe dieses Jahrzehntes in Betrieb gehen. Eine Industrieproduktion mit sehr geringen oder ohne CO2-Emissionen sei vorher nicht möglich.
Hohe CO2-Preise würden die Industrie belasten und das Tempo klimafreundlicher Investitionen verlangsamen. Die seien notwendig, um Europa als Industriestandort zu erhalten: „Wir brauchen keine Deindustrialisierung Europas, sondern eine Dekarbonisierung der Industrie.“ Andernfalls könnten die Europäer ihren Wohlstand verlieren und seien auch kein Vorbild für den Rest der Welt.
Zusage: Kein PVAS-Verbot für Transformationsbranchen
Gleichzeitig müsse die Industrie entlastet werden, insbesondere bei der Planung und Genehmigung klimafreundlicher Investitionen. Liese verwies auf die Hürden für Investitionen in die CO2-Abscheidung und Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS), aber auch Belastungen durch Auflagen in anderen Bereichen. In diesem Zusammenhang habe er von der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, die Zusage erhalten, dass die Transformationsbranchen nicht von dem bevorstehenden Verbot der sogenannten PFAS-Chemikalien betroffen sein werde. PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, die im Verdacht stehen, für den Menschen krebserregend zu sein. Unter anderem für die Herstellung von Wasserstoff und Windkraftanlagen sind diese Stoffe, so Lies, jedoch unverzichtbar.
In den Verhandlungen über die Reform des ETS habe das Parlament durchgesetzt, dass sich die strengeren Ziele des Klimapaktes (Green Deal) erst nach 2027 auf den Emissionshandel auswirken sollen. Bis dahin würden kurzfristig zusätzliche Zertifikate angeboten. Ein Teil des Preisrückgangs auf 70 Euro/Tonne CO2 sei deswegen „politisch gewollt“.
Mittelfristig müssten die Unternehmen aber damit rechnen, dass der Preis wieder auf über 100 Euro/Tonne steige: „Wer jetzt in saubere Technologien investiert, wird auf Dauer davon profitieren.“ Wer weitermache wie bisher, „wird bestraft werden“. Eingriffe in die Mengenausstattung des ETS stellte Liese für den Fall in Aussicht, dass die Industrie auch in Zukunft weniger in der EU investiert und produziert. In diesem Fall müsse darüber nachgedacht werden, die Menge der Emissionsrechte schneller zu reduzieren als bislang geplant.
Montag, 13.05.2024, 15:33 Uhr
Tom Weingärtner
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