LNG-Cargo Ish an der Regasifizierungseinheit "Höegh Gannet" (r.) in Brunsbüttel. Quelle: RWE
Mit der Frage, wie man bei der Energieversorgung hierzulande unabhängiger werden kann, hat sich ein Fachrat beschäftigt. Die Ergebnisse sind teilweise überraschend.
Am Anfang stand die Warnung: Man habe es zwar auch ohne russisches Erdgas durch den vergangenen Winter geschafft und es sehe auch für diesen Winter gut aus. „Aber das ging auf Kosten neuer Abhängigkeiten“, warnte Jonathan Barth, Sprecher des Fachrats Energieunabhängigkeit und Politischer Direktor des Instituts für zukunftsfähige Ökonomien (ZOE) am 23. Januar in Berlin. Gemeint waren die rasant gestiegenen LNG-Importe. Europaweit gesehen hätten sie jetzt einen Anteil von 40 Prozent am Erdgasaufkommen, was einer Verdoppelung entspricht.
Barth verwies bei der Veranstaltung dabei auf politische Unwägbarkeiten und Sicherheitsaspekte, wie etwa die derzeitigen Diskussionen in den USA über die Einschränkung von Exporten von Flüssigerdgas oder die Raketenangriffe auf Schiffe durch die Huthi-Rebellen im Roten Meer.
Der Fachrat hat nach Angaben Barths mit unterschiedlichen Experten ein Jahr an der Frage gearbeitet, was es braucht, damit Deutschland seine Abhängigkeit bei der Energieversorgung verringern kann. Danach sind Einsparungen von 78 Prozent möglich, in erster Linie durch Umstellungen im Wärmesektor.
Im Gebäudebereich lautet eine Empfehlung, verstärkt auf Contracting-Modelle zu setzen wie etwa das Mieten von Wärmepumpen. Hier könnten sich auch interessante Geschäftsmodelle für die Stadtwerke ergeben, denen die Einnahmen aus dem Gasgeschäft wegbrechen, die aber ihrerseits den Ausbau neuer Wärmenetze finanzieren müssen. Durch erdgasfreie Gebäudeheizung könne der Gasverbrauch um ein Drittel reduziert werden.
EZB-Programm für Strukturwandel weg vom Erdgas
Als zweiten entscheidenden Bereich führte der Sprecher des Fachrats die Industrie an. Bereits mit Investitionen von 10 Milliarden Euro ließe sich hier die Hälfte beim Energiebedarf für die Wärmeerzeugung einsparen. In dem Zusammenhang regte er weitere Diskussionen an, die Stromkosten zu senken.
Auf Einzelheiten zur Finanzierung ging Kristina Jeromin ein, ebenfalls Mitglied des Fachrates Energieunabhängigkeit und Geschäftsführerin Sustainable Finance Cluster Germany. Konkret forderte sie ein zeitlich begrenztes Programm der Europäischen Zentralbank (EZB), um einen erdgasfreien Strukturwandel zu fördern. Zwar müsse die Erdgasunabhängigkeit aus dem privaten Bereich heraus finanziert werden. „Aber der Staat muss mit gutem Beispiel vorangehen und durch zuverlässige Rahmenbedingungen Vertrauen schaffen.“
ZOE-Beiratsmitglied Dr. Maja Göpel, Honorarprofessorin für Nachhaltigkeitstransformation an der Leuphana Universität Lüneburg, nannte die Versorgungssicherheit den Grundstoff einer erfolgreichen Wirtschaft. Man dürfe sich in diesem Bereich nicht mehr erpressbar machen. Sie rief die Politik ebenfalls dazu auf, „Richtungssicherheit“ herzustellen, Zickzackkurse wie in der Vergangenheit beim Heizungsgesetz seien wenig hilfreich. Auch rief sie dazu auf, Betroffene früh einzubeziehen und die Bürger am Strukturwandel zu beteiligen. Die verschiedenen Lenkungssysteme müssten aufeinander abgestimmt werden.
Dienstag, 23.01.2024, 15:40 Uhr
Günter Drewnitzky
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