Zentrales Thema auf der DVGW-Tagung in Berlin war die Dekarbonisierung der Gaswelt durch den Hochlauf von Wasserstoff und anderen klimafreundlichen Gasen. Die Branche will aufbrechen.
Die Gas- und Wasserbranche trifft sich am 17. und 18. Oktober in Berlin zur Jahrestagung „gat | wat“. Im Mittelpunkt stand die Organisation anderer Transportwege für Gas nach Europa und Deutschland, nachdem die Erdgasflüsse aus Russland im Zuge des Ukrainekrieges versiegt sind. Arndt Heilmann, Projektmanager der Gasunie Deutschland erwartet von der Politik „klare Regeln“ unter Berücksichtigung der Expertise der Fachleute statt „Luftschlössern“. Aktuell behindere die fehlende Definition für „grünen“, also klimaneutralen Wasserstoff und die Unsicherheit der Gasnetznutzung den Hochlauf.
Die Politik solle mehr Vertrauen in die Ausgestaltung der Infrastruktur durch die Unternehmen setzen. „Wasserstoffherstellung wird in Europa 150-200
Euro/MWh kosten, in Chile oder Afrika etwa 10
Euro/MWh. Daher müssen wir diese Importe organisieren“, sagte Heilmann. Anders sei die energieintensive Industrie ohne Erdgas nicht in Deutschland zu halten, warnte er. Holger Kreetz, COO Asset Management bei Uniper, verteidigte das aktuelle hohe Engagement der Politik und des Staates für Überbrückungslösungen durch LNG-Terminals. Diese seien durchaus zukunftsfähig, da die errichtete Infrastruktur von Landseite bereits wasserstofffähig werde, versprach Kreetz.
Die 25
Euro/MWh für Erdgas aus Russland seien nicht wieder erreichbar, prognostizierte Christoph Gatzen, Director der Frontier Economics. Grüne Gase würden aber langfristig zu 90
Euro/MWh möglich sein. Da Erdgas zunehmend teurer würde durch den CO2-Preis, näherten sich die Werte an. „Eine Grüngasversorgung mit europäischen und weltweiten Importen wird möglich sein, aber teurer als heute“, so das Fazit von Gatzen.
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Nötige Maßnahmen für den Hochlauf von Grüngasen in Deutschland. Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken. Quelle: Frontier Economics |
Mehr Tempo für die Wasserstoffwirtschaft„Eine konzertierte Aktion aus Politik, Industrie und Unternehmen“ forderte Andrei Zschocke, Head of Green Hydrogen Strategy der Thyssenkrupp nucera. Nur so könne schnell die Wertschöpfungskette aufgebaut werden. „Spätestens 2030 wird Wasserstoff auf eigenen Beinen stehen“, sagte Zschocke in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit voraus. 10
Mio.
Tonnen Wasserstoff müssten im Jahr 2030 importiert werden können, sagte Thorsten Kasten, Vorstand des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbandes.
„Sorgen Sie dafür, dass wir dürfen, was wir längst können“, appellierte Thomas Hüwener, Geschäftsführer von Open Grid Europe an die Politik. Man solle sich nicht wieder von einem Partner abhängig machen, Vielfalt sei der Schlüssel sicherer und bezahlbarer Versorgung. Das gelte sowohl für die Produzenten und die Lieferanten wie auch für die Transportwege künftiger klimaneutraler Gase. Dabei sei Wasserstoff aus erneuerbar produziertem Strom, mit Abscheidung von CO2 oder Biogas und anderes möglich.
Andreas Rimkus, Wasserstoffbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion, erinnerte, für die Klimaschutzziele müsste bis 2030 ein Drittel des Primärenergiebedarfs dekarbonisiert werden. Er will, dass alle Sektoren, gleich ob Strom oder Gas, sich zusammentun für die Energiewende und bestehende Mauern oder Gräben einreißen.
Energiewende muss gesamte Wirtschaft erreichen„Der Stahlmarkt ist der erste Markt, der vergrünt werden muss“, sagte Kasten und lobte die Pilotprojekte, die bereits liefen. Die Abnahmeseite sei bereit, müsse aber beliefert werden. „Die Dekarbonisierung betrifft am Ende alle heutigen Gasnutzer, das muss bewusst gemacht werden, es bleibt nicht bei den großen Playern“, sagte er. Der Wechsel müsse aber sozial verträglich und versorgungssicher geschehen. „Heute hängen auch klimafreundliche BHKW am Gasnetz, die Wärme und Strom für die Umgebung liefern“, erinnerte er. Sie könnten nicht einfach vom Gasnetz getrennt werden, ohne Einbrüche der Versorgungssicherheit.
Kirsten Westphal, Vorstand der H2Global Stiftung, fürchtet ein Zurückfallen gegenüber den USA, die „bereits losgesprintet“ seien. Der nachfrageorientierte Ansatz zum Wasserstoffhochlauf sorge für Verzögerungen. Stattdessen wäre eine europäische „Montanunion“ nötig, in der alle Länder sich dem Ziel Wasserstoffwirtschaft verpflichten. Andree Stracke, Vorsitzender der Geschäftsführung der RWE Supply & Trading, äußerte sich skeptisch zum geplanten gemeinsamen Erdgaseinkauf der EU. Die Länder hätten zu unterschiedliche Interessen und Voraussetzungen und der Weltmarkt funktioniere ohnehin.
Dienstag, 18.10.2022, 17:22 Uhr
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