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Spektakuläre Wende im Weimarer Fernwärmestreit: Die Stadtwerke pochen nicht auf eine Nachzahlung, sondern bieten Firmen selbst Geld an. Und sehen sich einer Gegenklage ausgesetzt.
Die Stadtwerke Weimar sind offenbar bemüht, den juristischen Streit mit dem Stahlbauunternehmen Weimar-Werk geräuschlos beizulegen. Statt weiter auf eine ausstehende Zahlung von 50.000 Euro zu drängen (wir berichteten), bietet der thüringische Versorger aktuell sogar Geld an.
Das erklärt Ferdinand Berr, Gesellschafter beim Weimar-Werk, gegenüber unserer Redaktion. Das Unternehmen hatte sich im Februar 2022 einer Aufforderung der Stadtwerke, 100.000 Euro Abschlag für die Monate Januar (rückwirkend) bis Mai 2022 zu zahlen, widersetzt. 50.000 Euro hatte Weimar-Werk lediglich gezahlt, später weitere 25.000 Euro angeboten. Die zusätzliche Summe, so Ferdinand Berr, habe die Firma allerdings noch ohne Kenntnis einer neuen Sachlage offeriert und schließlich nicht gezahlt.
Und diese neue Sachlage verändert aus Sicht des Unternehmens alles. Denn durch rechtliche und fachliche Hilfe entdeckte Weimar-Werk laut Ferdinand Berr unwirksame Bestandteile im neuen Vertrag, mit denen die Stadtwerke den berechneten Abschlag begründeten. Gegen die verwendete Preisformel und veränderte Gewichtungen im Zahlenwerk setzt das Unternehmen sich seither zur Wehr.
Auf Gegenklage reagiert Versorger mit 120.000-Euro-AngebotInzwischen auch mit einer Gegenklage, die es dem zuständigen Landgericht Erfurt ermöglicht, die Angelegenheit in einem Guss zu behandeln. Und Weimar-Werk ist sich seiner neuen Position offenbar sehr bewusst. Es scheint eine Position der Stärke zu sein, denn laut Ferdinand Berr liege dem Weimar-Werk und einem zweiten, die Widerklage mittragenden Unternehmen seit einem mündlichen Verhandlungstermin im April 2024 ein Vergleichsvorschlag der Stadtwerke vor. Von 50.000 Euro Nachforderung sei darin keine Rede mehr, vielmehr biete der Versorger beiden Firmen zusammen 120.000 Euro Entschädigungszahlung an.
Zu dem laufenden Verfahren wollen die Stadtwerke Weimar keine Stellung beziehen, sagte eine Sprecherin auf Anfrage unserer Redaktion. Somit bleibt auch offen, auf welch tönernen Füßen die Fernwärme-Preisberechnung des Versorgers grundsätzlich steht und welche anderen Unternehmen in der Goethe-und-Schiller-Stadt Angriffspunkte in ihren Verträgen entdecken könnten. Das zweite, mit dem Weimar-Werk klagende Unternehmen fordere für einen speziellen Abrechnungszeitraum 360.000 Euro von den Stadtwerken zurück, so Ferdinand Berr.
Der Firmenchef betont, ihm gehe es in der Auseinandersetzung nicht darum, in einem Vergleich eine möglichst hohe Summe von den Stadtwerken zu erhalten. Beim vorliegenden Angebot käme Weimar-Werk mit „null Euro“ aus dem besagten Zeitraum heraus, also ohne effektive Zahlung bei einem Rückerhalt der überwiesenen 50.000 Euro. „Wir wollen aber eine Lösung für ganz Weimar erreichen“, so Berr.
Verträge zwischen Stadtwerken und Lieferant Teag untersuchenEinem Vergleich wolle Weimar-Werk nur unter Bedingungen zustimmen. Eine davon sei, dass die Stadtwerke ihre Preisformel zur Berechnung des Arbeitspreises bei der Fernwärme überprüfen und das Ergebnis transparent machen. Dazu verlange die Firma vom Versorger, die Wirkungsgrade bei der Fernwärme für die ganze Stadt offenzulegen. Nur wenn klar sei, wie viel Gas eingesetzt werde, um eine kWh Fernwärme zu erzeugen, sei der betriebswirtschaftliche Aufwand nachzuvollziehen.
Eine weitere Bedingung zielt auf ein Aussetzen der dreijährigen Verjährungsfrist für einen Widerspruch gegen erhaltene Rechnungen und Verträge ab, bis die Preisformel-Frage geklärt sei. Weimar-Werk möchte, dass möglichst viele Kunden der Stadtwerke ausreichend Zeit für das Prüfen ihrer Verträge bekommen. Weil das Urteil des Landgerichts zum laufenden Verfahren aber „dauern kann“, so Ferdinand Berr, könne es hier zu Härtefällen kommen.
Und schließlich birgt die vierte Bedingung eine gewisse Pikanterie. Weimar-Werk möchte unbotmäßigen Preisaufschlägen zwischen Gaslieferant und Versorger einen Riegel vorschieben. Hier will das Unternehmen geklärt wissen, ob die Stadtwerke die tatsächlichen Bezugspreise des Lieferanten TEAG Thüringer Energie AG (Teag) weiterreicht.
Reformvorschläge für den Fernwärmesektor entwickeltWeimar-Werk will verhindern, dass die Teag beim Verkauf des Gases einen Übergewinn einfährt, obwohl das Gas selbst günstiger beschafft worden sei. Dieses Thema sei „heikel“, so Ferdinand Berr, weil die Teag Gesellschafterin bei den Stadtwerken ist. Weimar-Werk verlangt daher das Testat eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers über die Preisgestaltung.
Über die vielen Monate der rechtlichen Auseinandersetzung hinweg hat das Weimar-Werk sich eine gewisse Expertise im Themenkomplex Fernwärme-Berechnung erworben. Dies schlägt sich nicht nur im Verfahren gegen die Stadtwerke, sondern auch in grundsätzlichen Überlegungen zum Fernwärmesektor nieder. Am 23.
Mai legte Weimar-Werk den ersten Entwurf für eine Fernwärme-Reform vor, „um eine legitime Preisgestaltung sowie effiziente, umweltfreundliche Brennstoffnutzung zu gewährleisten“.
Die zentralen Verbesserungsvorschläge von Weimar-Werk lauten:
- Stärkere Anreizregulierung durch das Marktelement in der Preisformel
- Fokus auf den Gesamtwirkungsgrad
- Verpflichtendes Preisregister aller Fernwärmeversorger
- Konstante, automatisierte Preisaufsicht durch Kartellamt nach Vergleichsmarktprinzip
Gleichzeitig zu den Reformideen fällt Weimar-Werk ein vernichtendes Urteil über die inzwischen geschaffene „Transparenzplattform“ der AGFW. Sie sei „eine Mogelpackung“, um den Forderungen der Politik nachzukommen, so Ferdinand Berr. Transparenz und marktwirtschaftliche Effizienz könne nur ein
Preisregister mit verpflichtender Teilnahme gewährleisten, verbunden mit einer künftigen Fernwärme-Preisaufsicht.
Dienstag, 4.06.2024, 16:49 Uhr
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