Quelle: E&M
Die Digitalisierung ist aktuell das beherrschende Thema für die Energieversorger. Beim intelligenten Messwesen macht sich jedoch Ernüchterung breit.
In der jüngsten Ausgabe ihrer Stadtwerkestudie, die in Zusammenarbeit mit dem BDEW erstellt wurde, haben die Berater von Ernst & Young (EY) Digitalisierung als „das absolute Top-Thema“ ausgemacht. Zustimmungsgrad bei den Befragten: 89 %. Gerade die Cyber- und Datensicherheit habe gegenüber vorangegangener Untersuchungen sprunghaft an Bedeutung gewonnen. Das liegt sicher nicht zuletzt an der Tatsache, dass die Zahl der Attacken auf die Betreiber kritischer Infrastrukturen unaufhörlich steigt. „Diese Beobachtung sollte die Stadtwerke beunruhigen“, schreiben die Autoren der Studie und verweisen auf den Boom „digitaler Erpressung“. Mittlerweile haben auch einige kommunale Versorger dies schmerzlich erfahren. Die Berater vermuten, dass die Zustimmung beim Thema Cybersicherheit sogar noch höher ausgefallen wäre, wenn die Umfrage zur Zeit des Ukraine-Krieges stattgefunden hätte.
Bemerkenswert, ja sogar „erstaunlich“, erscheint den Beratern vor diesem Hintergrund, dass sich die Entscheider bei den Stadtwerken über die Bedeutung der Digitalisierung im Klaren sind, sich aber noch nicht gut aufgestellt sehen. Ein Grund für die selbstkritische Betrachtung könnte darin liegen, dass digitale Lösungen für Strom, Wärme und Mobilität erst noch in die Fläche gebracht werden müssen, wie Christoph Trautmann vermutet. Der Geschäftsführer der Stadtwerke Aalen ist einer der Unternehmenslenker, die namentlich in der Studie zitiert werden. Seiner Meinung nach müssen viele Lösungen, die in Ballungsräumen getestet und eingesetzt werden, erst noch in sinnvoller Weise auf ländliche Gebiete übertragen werden.
Hickhack um die Markterklärung
Während innerhalb des weiten Felds der Digitalisierung das Thema Cybersicherheit in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen hat, hat die Entwicklung im intelligenten Messwesen bei den Stadtwerken offensichtlich zu einer gewissen Ernüchterung geführt. Statt 67 % im Vorjahr zählen es nur noch 39 % der Befragten zu den Top-Themen der Branche. Zwar haben nach Erkenntnissen von Ernst & Young immerhin 83 % der grundzuständigen Messstellenbetreiber inzwischen erste intelligente Messsysteme installiert (2020: 19 %). Das Hickhack um die Markterklärung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), die allgemeine Unsicherheit über den regulatorischen Rahmen des Smart Meter Rollouts und die immer noch ausstehende Ausgestaltung des § 14a aus dem Energiewirtschaftsgesetz stoßen im Markt aber immer mehr auf Unverständnis.
Das Digitalisierungsbarometer, das jährlich den Stand der Umsetzung des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewirtschaft beleuchtet, ist zwar für 2021 noch nicht veröffentlicht. Man kann aber davon ausgehen, dass auch in diesem Dokument, das von Ernst & Young im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wird, die Probleme rund um das intelligente Messwesen einige Seiten füllen werden.
Über insgesamt fünf Seiten hat der Branchenverband der digitalen Wirtschaft, Bitkom, zeitgleich mit der Veröffentlichung der Stadtwerkestudie die aus seiner Sicht herrschenden Defizite aufgegriffen und neun Punkte für ein „Umsteuern in der digitalen Energiepolitik“ formuliert. Die Baustellen, die der Verband auf dem Weg zur Digitalisierung des Energiesystems ausgemacht hat, reichen von der Klärung und Bündelung von Zuständigkeiten über den Einsatz agiler Methoden bei der Weiterentwicklung des Energiesystems und den Rechtsrahmen für steuerbare Verbraucher bis zum Anreiz für zusätzliche Kapazitäten im Handwerk.
Gerade mit dem letzten Punkt der Neuner-Agenda legt Bitkom den Finger in eine Wunde, die nicht nur vor dem Hintergrund der Digitalisierung schmerzt, aber in diesem Zusammenhang besonders sichtbar wird: Es mangelt an qualifizierten Fachkräften, die Hard- und Software installieren und zum Laufen bringen, damit die Masse an Daten zur Optimierung und Steuerung des Energiesystems ihren vollen Nutzen für die Energiewende entfalten kann.
Erfolglose und erfolgreiche Kooperationen
„Teure neue Energiewelt. Stadtwerke zwischen Finanzierungsdruck und Transformationsbedarf. Kooperationen können helfen, sind aber noch zu selten“. Diese Zeilen stehen auf dem Titelblatt der Stadtwerkestudie von Ernst & Young, die vom BDEW in Auftrag gegeben wurde. Im weiteren Verlauf wird gerade die Sinnhaftigkeit von Kooperationen im Stadtwerkeumfeld immer wieder betont. Vor allem IT-Themen gelten unter den Stadtwerken als die wichtigsten Kooperationsfelder. Auch im Zuge des Smart Meter Rollouts sind Kooperationen und Gemeinschaftsunternehmen entstanden, die allerdings unter den widrigen Rahmenbedingungen leiden und sich zum Teil, wie der Gateway-Administrator Metering Süd, wieder vom Markt verabschiedet haben.
Doch es gibt auch Marktteilnehmer, die zumindest in unternehmenseigenen Pressemitteilungen eine positive Grundstimmung an den Tag legen. Dazu gehören beispielsweise der Smart-Meter-Gateway-Hersteller Sagemcom Dr. Neuhaus und der Metering-Dienstleister „MeterPan“, an dem unter anderem die Stadtwerke Norderstedt beteiligt sind.
„Unser Blick in Richtung Zukunft ist weiterhin überaus optimistisch“, sagt Holger Graetz. Der Leiter Vertrieb und Marketing bei Sagemcom Dr. Neuhaus berichtet von „vielen Messstellenbetreibern“, die „weiterhin auf Hochtouren“ daran arbeiten, die Zehn-Prozent-Einbauquote zu erreichen. Eine Reihe von Unternehmen habe diese Marke auch schon überschritten. Darüber hinaus sei die Rezertifizierung der eigenen Hardware zum Greifen nah, so Graetz zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser Ausgabe. Steffen Heudtlaß, Geschäftsführer von Meter Pan, ist ebenfalls „optimistisch“ und noch dazu „gelassen“, nicht zuletzt aufgrund der positiven Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Sagemcom Dr. Neuhaus. Für mehr als 60 grundzuständige Messstellenbetreiber „mit allen marktüblichen Billingsystemen“ habe der Metering-Dienstleister in den vergangenen Jahren die Prozesse nicht nur abbilden, sondern auch über Webservices direkt mit der eigenen Gateway-Administrationsplattform automatisieren können.
Es gibt aber auch eine Digitalisierung jenseits des politisch und mittlerweile ebenfalls emotional aufgeladenen intelligenten Messwesens. Eine wachsende Zahl an IoT-Projekten bei Stadtwerken zeigt, wie mit relativ überschaubaren Mitteln und in relativ kurzer Zeit Digitalisierungsfortschritte erzielt werden können, die sich auch monetär auszahlen.
Dienstag, 19.07.2022, 09:15 Uhr
Fritz Wilhelm
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