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Energie & Management > Technik - Erstes deutsches Stahlwerk mit kurzer Leitung zum Windpark
Windstrom direkt zum Stahlwerk: Hagen ist Deutschlands erster Standort. Quelle: E&M / Volker Stephan
Technik

Erstes deutsches Stahlwerk mit kurzer Leitung zum Windpark

Wind formt Rasierklingen. Das, kurz gesagt, ermöglicht Deutschlands erstes direkt mit einem Windpark verbundene Stahlwerk. Realisiert von Thyssenkrupp am Standort Hohenlimburg.
Der Strom kommt direkt aus der Leitung. Klingt banal, für Thyssenkrupp im Hagener Stadtteil Hohenlimburg aber ist diese Entwicklung ein Meilenstein auf dem Weg zu grünem Stahl. Denn am 3. Juni stellte das Industrieunternehmen offiziell den direkten Anschluss an einen wenige Kilometer entfernten Windpark her.

Ab sofort liefern die vier Enercon-Turbinen der 4,5-MW-Klasse einen erheblichen Beitrag zur Grünstromversorgung des Warmwalzbetriebs an der Lenne. Auf die Lieferung von 40 Millionen kWh haben Thyssenkrupp und der Parkbauer SL Natur Energie aus Gladbeck sich verständigt. Damit deckt der Betrieb etwa 40 Prozent seines jährlichen Strombedarfs.

Der Vertrag ist keine bilanzielle Versorgung mit Ökoenergie, wie es bei Langfrist-Abnahmeverträgen (Power Purchase Agreements, PPA) üblich ist. Der Strom wandert also nicht ins öffentliche Netz, sondern von den Hohenlimburger Höhenzügen ohne Umweg an die Produktionsstätte im Lennetal. Lediglich bei den Wartungsintervallen, zwei Wochen im Sommer und zehn Tage im Winter, sowie bei Produktion im Überfluss gehe der Strom ins allgemeine Netz, erklärt der Hohenlimburger Thyssenkrupp-CEO Andre Matusczyk gegenüber der Redaktion.
 
Der Warmwalzbetrieb von Thyssen Krupp in Hagen-Hohenlimburg benötigt viel Energie und emittiert enorme Mengen an CO2. Der Strom vom Windpark nebenan macht das Arbeiten nun grüner.
Quelle: Volker Stephan

Entsprechend groß war der Andrang, als auf fast zwei Jahre währende Verhandlungen zwischen dem Windenergie- und dem Stahlunternehmen jetzt der erste Stromfluss folgte. Nordrhein-Westfalens Energie- und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) nannte es einen „historischen Tag für Deutschland“, dass das erste Industrieunternehmen eine produktionsnahe Energieversorgung auf Basis von Windkraft umsetze.

Gut drei Kilometer lang ist die Leitung, die den Windpark an die Produktionsstätte anschließt. Auf die Länge nimmt auch der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW), Lobbyverband der Branche, in einer Reaktion Bezug. Um aus Hagen ein Vorbild für andere Industrie- und Gewerbegebiete werden zu lassen, müsse der Gesetzgeber Schluss machen mit hinderlichen Bestimmungen.

Bisher gilt laut Energiewirtschaftsgesetz (EnWG): Ein Stromkabel zwischen Erzeugungsanlage und Produktionsbetrieb darf die Marke von fünf Kilometern nicht überschreiten. „Wir brauchen praxistaugliche Regelungen für die Direktstromlieferung“, forderte die in Hohenlimburg ebenfalls anwesende Geschäftsführerin des LEE NRW, Tanja König. Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen mache es mit der Reform der Landesbauordnung vor, nun solle die Regierung auch eine entsprechende Bundesratsinitiative starten, so König.

Für vermutlich unbeabsichtigte Lacher sorgte Klaus Schulze Langenhorst, einer der Geschäftsführer von SL Natur Energie. Der Gladbecker Unternehmer sagte, der Windpark selbst sei trotz vieler „Widerlichkeiten“ entstanden, er korrigierte kurz danach auf „Widrigkeiten“. In jedem Fall meinte er den intensiven Widerstand, den die 2007 entstandenen Pläne zu brechen hatten. Die Anlagen im – von Orkan Kyrill 2007 in Mitleidenschaft gezogenen – Waldgebiet mussten Bürgerprotest und kommunalpolitischen Gegenwind überstehen. Gerichte räumten mit einem Urteil, das den entgegenstehenden Flächennutzungsplan Hagens kassierte, letzte Zweifel am Projekt aus.

Die von Thyssenkrupp vom „Berg“ eingekaufte Strommenge sei „sinnvoll“ dimensioniert, sagte Andre Matusczyk. Theoretisch könnte das Werk auch Energie von weiteren Windenergieanlagen beziehen. Als weitere Quelle sei allerdings das öffentliche Netz wichtig, um jederzeit über die erforderliche Elektrizität verfügen zu können. Die Öko-Bilanz von Thyssenkrupp verbessere sich mit jeder Kilowattstunde Ökostrom im Strommix.

An ein Speichern von Ökostrom ist in Hohenlimburg nicht gedacht, so Matusczyk weiter. Ohnehin spielt im Produktionsprozess für die 1,5 mm dünnen Stahlbänder (Coils), die aus 26 cm dicken Brammen entstehen, künftig auch ein anderer Energieträger eine große Rolle: Wasserstoff. Bisher setzt Thyssenkrupp auf das Verbrennen von Gas zum Erhitzen auf bis zu 2.000 Grad Celcius. Der größere von zwei Öfen, der zwei Drittel des in Hohenlimburg erzeugten Stahls (1 Million Tonnen pro Jahr) auf Temperatur bringt, soll ab 2025 auch mit Wasserstoff arbeiten. Nach vier Baustufen soll der Wasserstoff-Anteil 60 Prozent betragen, perspektivisch 100 Prozent.

Der Betriebschef der Mittelbandstraße, Christoph Evers, erläuterte, wo der produzierte Stahl zum Einsatz kommen soll. Die Mittelbänder seien aufgrund ihrer geringeren Dicke für Präzisionsbereiche verwendbar. Abnehmer der gerollten Bänder sind Automobilzulieferer, allerdings nicht die Karosseriebauer, die dickeren Stahl benötigen. Vielmehr findet sich Hohenlimburger Stahl etwa in den Federsystemen, die Anschnallgurte im Auto zurückschnellen lassen. Noch weiter verarbeitet, tauchen die Mittelbänder auch im Gesicht von Männern auf – Rasierklingen sind die 0,2 Millimeter dünne Erscheinungsform der einst dicken Brammen.

Montag, 3.06.2024, 17:56 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Technik - Erstes deutsches Stahlwerk mit kurzer Leitung zum Windpark
Windstrom direkt zum Stahlwerk: Hagen ist Deutschlands erster Standort. Quelle: E&M / Volker Stephan
Technik
Erstes deutsches Stahlwerk mit kurzer Leitung zum Windpark
Wind formt Rasierklingen. Das, kurz gesagt, ermöglicht Deutschlands erstes direkt mit einem Windpark verbundene Stahlwerk. Realisiert von Thyssenkrupp am Standort Hohenlimburg.
Der Strom kommt direkt aus der Leitung. Klingt banal, für Thyssenkrupp im Hagener Stadtteil Hohenlimburg aber ist diese Entwicklung ein Meilenstein auf dem Weg zu grünem Stahl. Denn am 3. Juni stellte das Industrieunternehmen offiziell den direkten Anschluss an einen wenige Kilometer entfernten Windpark her.

Ab sofort liefern die vier Enercon-Turbinen der 4,5-MW-Klasse einen erheblichen Beitrag zur Grünstromversorgung des Warmwalzbetriebs an der Lenne. Auf die Lieferung von 40 Millionen kWh haben Thyssenkrupp und der Parkbauer SL Natur Energie aus Gladbeck sich verständigt. Damit deckt der Betrieb etwa 40 Prozent seines jährlichen Strombedarfs.

Der Vertrag ist keine bilanzielle Versorgung mit Ökoenergie, wie es bei Langfrist-Abnahmeverträgen (Power Purchase Agreements, PPA) üblich ist. Der Strom wandert also nicht ins öffentliche Netz, sondern von den Hohenlimburger Höhenzügen ohne Umweg an die Produktionsstätte im Lennetal. Lediglich bei den Wartungsintervallen, zwei Wochen im Sommer und zehn Tage im Winter, sowie bei Produktion im Überfluss gehe der Strom ins allgemeine Netz, erklärt der Hohenlimburger Thyssenkrupp-CEO Andre Matusczyk gegenüber der Redaktion.
 
Der Warmwalzbetrieb von Thyssen Krupp in Hagen-Hohenlimburg benötigt viel Energie und emittiert enorme Mengen an CO2. Der Strom vom Windpark nebenan macht das Arbeiten nun grüner.
Quelle: Volker Stephan

Entsprechend groß war der Andrang, als auf fast zwei Jahre währende Verhandlungen zwischen dem Windenergie- und dem Stahlunternehmen jetzt der erste Stromfluss folgte. Nordrhein-Westfalens Energie- und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) nannte es einen „historischen Tag für Deutschland“, dass das erste Industrieunternehmen eine produktionsnahe Energieversorgung auf Basis von Windkraft umsetze.

Gut drei Kilometer lang ist die Leitung, die den Windpark an die Produktionsstätte anschließt. Auf die Länge nimmt auch der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW), Lobbyverband der Branche, in einer Reaktion Bezug. Um aus Hagen ein Vorbild für andere Industrie- und Gewerbegebiete werden zu lassen, müsse der Gesetzgeber Schluss machen mit hinderlichen Bestimmungen.

Bisher gilt laut Energiewirtschaftsgesetz (EnWG): Ein Stromkabel zwischen Erzeugungsanlage und Produktionsbetrieb darf die Marke von fünf Kilometern nicht überschreiten. „Wir brauchen praxistaugliche Regelungen für die Direktstromlieferung“, forderte die in Hohenlimburg ebenfalls anwesende Geschäftsführerin des LEE NRW, Tanja König. Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen mache es mit der Reform der Landesbauordnung vor, nun solle die Regierung auch eine entsprechende Bundesratsinitiative starten, so König.

Für vermutlich unbeabsichtigte Lacher sorgte Klaus Schulze Langenhorst, einer der Geschäftsführer von SL Natur Energie. Der Gladbecker Unternehmer sagte, der Windpark selbst sei trotz vieler „Widerlichkeiten“ entstanden, er korrigierte kurz danach auf „Widrigkeiten“. In jedem Fall meinte er den intensiven Widerstand, den die 2007 entstandenen Pläne zu brechen hatten. Die Anlagen im – von Orkan Kyrill 2007 in Mitleidenschaft gezogenen – Waldgebiet mussten Bürgerprotest und kommunalpolitischen Gegenwind überstehen. Gerichte räumten mit einem Urteil, das den entgegenstehenden Flächennutzungsplan Hagens kassierte, letzte Zweifel am Projekt aus.

Die von Thyssenkrupp vom „Berg“ eingekaufte Strommenge sei „sinnvoll“ dimensioniert, sagte Andre Matusczyk. Theoretisch könnte das Werk auch Energie von weiteren Windenergieanlagen beziehen. Als weitere Quelle sei allerdings das öffentliche Netz wichtig, um jederzeit über die erforderliche Elektrizität verfügen zu können. Die Öko-Bilanz von Thyssenkrupp verbessere sich mit jeder Kilowattstunde Ökostrom im Strommix.

An ein Speichern von Ökostrom ist in Hohenlimburg nicht gedacht, so Matusczyk weiter. Ohnehin spielt im Produktionsprozess für die 1,5 mm dünnen Stahlbänder (Coils), die aus 26 cm dicken Brammen entstehen, künftig auch ein anderer Energieträger eine große Rolle: Wasserstoff. Bisher setzt Thyssenkrupp auf das Verbrennen von Gas zum Erhitzen auf bis zu 2.000 Grad Celcius. Der größere von zwei Öfen, der zwei Drittel des in Hohenlimburg erzeugten Stahls (1 Million Tonnen pro Jahr) auf Temperatur bringt, soll ab 2025 auch mit Wasserstoff arbeiten. Nach vier Baustufen soll der Wasserstoff-Anteil 60 Prozent betragen, perspektivisch 100 Prozent.

Der Betriebschef der Mittelbandstraße, Christoph Evers, erläuterte, wo der produzierte Stahl zum Einsatz kommen soll. Die Mittelbänder seien aufgrund ihrer geringeren Dicke für Präzisionsbereiche verwendbar. Abnehmer der gerollten Bänder sind Automobilzulieferer, allerdings nicht die Karosseriebauer, die dickeren Stahl benötigen. Vielmehr findet sich Hohenlimburger Stahl etwa in den Federsystemen, die Anschnallgurte im Auto zurückschnellen lassen. Noch weiter verarbeitet, tauchen die Mittelbänder auch im Gesicht von Männern auf – Rasierklingen sind die 0,2 Millimeter dünne Erscheinungsform der einst dicken Brammen.

Montag, 3.06.2024, 17:56 Uhr
Volker Stephan

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