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Derzeit herrscht viel Unzufriedenheit über die Regulierung des Messwesens. Ein Gespräch mit Norbert Jungjohann von der Stadtwerke Husum Netz.
E&M: Herr Jungjohann, Sie haben kürzlich eine pointiert formulierte ‚Glosse‘ verschickt
(siehe Kasten unten). Zum Lachen ist Ihnen aber ganz und gar nicht zumute.
Jungjohann: Da schwingt viel Frust mit. Das ist auch nicht verwunderlich. Wir beschäftigen uns schon seit 2008 mit dem Smart Metering und haben damals damit angefangen Strukturen aufzubauen, um Stromzähler fernauslesbar zu machen. Das geschieht zum einen über Powerline, zum anderen über das Mobilfunknetz. Es funktioniert sehr gut und gibt den Kunden einen gewissen Komfort.
E&M: Nutzen Sie das auch für Haushaltskunden?
Jungjohann: Ja. Gerade für die haben wir das entwickelt.
E&M: Welche IT-Lösung nutzen Sie dafür?
Jungjohann: Das ist eine Lösung der Firma Görlitz. Sie hat wunderbar funktioniert, muss man sagen. Leider dürfen wir sie nicht weiterverwenden. Die Kunden bekommen jetzt moderne Messeinrichtungen.
E&M: Wie war deren Reaktion?
Jungjohann: Ihre Reaktion war: Unverständnis. Wir hatten eine Lösung, die für die Kunden komfortabel war. Sie mussten sich nicht um die Ablesung als solche kümmern und auch nicht darum, dass die Werte rechtzeitig übermittelt werden. Wir konnten außerdem auch andere Sparten − Wasser und Gas − gleich mit übertragen. Jetzt bekommen die Kunden moderne Messeinrichtungen. Erklären Sie mal einem Kunden, er bekommt eine Messeinrichtung, die modern ist, aber gleichzeitig technologisch und vom Komfort her betrachtet einen deutlichen Rückschritt macht − er muss wieder selbst ablesen. Das geht nicht.
E&M: Sie können sich auf die gesetzliche Verpflichtung berufen.
Jungjohann: Das hilft dem Kunden nicht. Und als grundzuständiger Messstellenbetreiber sind wir regulatorisch in einem engen Korsett, sodass wir den Kunden auch kein wirklich innovatives Produkt anbieten können. Da macht uns in der Regel die Preisobergrenze einen Strich durch die Rechnung. An die sind wir gebunden. Der optionale Einbau eines intelligenten Messsystems bei Kunden mit weniger als 6.000 Kilowattstunden Jahresstromverbrauch kommt für uns schon mal gar nicht in Frage. Und beim Pflichteinbau von intelligenten Messsystemen stellt sich natürlich die Frage, was die Smart Meter Gateways bisher tatsächlich können. Der Funktionsumfang ist ja noch gering.
E&M: Durch das Rezertifizierungsverfahren sind neue Funktionen hinzugekommen.
Jungjohann: Das stimmt. Aber ich befürchte grundsätzlich, dass die Funktionen dem Bedarf hinterherhinken werden. Im Moment stellen die E-Autos die Netze noch nicht vor Probleme. Es kann aber ganz schnell gehen, dass sich die Energieverbräuche vieler Haushalte durch die E-Mobilität verdoppeln, dass die Last in bestimmten Abschnitten der Niederspannungsnetze schnell ein Niveau erreicht, das sie nicht mehr bewältigen können. Die Politik hat schon zu oft kritische Entwicklungen zu spät erkannt.
E&M: Wie sehen Sie die Chancen für Dienstleistungen wie die Mehrspartenmessung?
Jungjohann: Dabei kommt es immer auf die Zahl der Kunden an beziehungsweise die Anzahl der Messgeräte, die man auf ein System bringen kann. Für kleine Stadtwerke ist es schwierig, hier wirtschaftlich zu sein. Das ist auch für uns der Knackpunkt.
E&M: Wäre es eine Option, den wettbewerblichen Messstellenbetreiber auszuprägen?
Jungjohann: Wir haben das mit der Stadtwerkeschwester diskutiert, den Gedanken aber wieder verworfen. Als wettbewerblicher Messstellenbetreiber muss man etwas im Köcher haben, was über den Messstellenbetrieb hinausgeht, etwa Analysen, Benchmarking, Energiedienstleistungen. Aber auch dafür gilt wieder, dass die Systemkosten, verglichen mit den Erlösen, die wir mit der Zahl unserer Kunden generieren können, hoch sind. Deshalb müssten wir sehr viele Neukunden gewinnen, und auch das würde hohe Investitionen erfordern.
E&M: Welche Alternativen haben Sie?
Jungjohann: Fest steht: Wir bleiben grundzuständiger Messstellenbetreiber und werden in diesem Rahmen unsere Prozesse weiter optimieren, um mit der Preisobergrenze auszukommen. Es wird sicher noch die eine oder andere Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit anderen Stadtwerken bilateral oder in einem Netzwerk geben. Am besten wäre aber, wenn die Politik pragmatischer an das intelligente Messwesen herangehen würde.
E&M: Wie meinen Sie das?
Jungjohann: Warum sollten wir nicht, wenn wir die Daten von einem Wasserzähler über ein Lorawan-Netz schicken, die Strommesswerte aus einer modernen Messeinrichtung über eine Mimik auf den Wasserzähler bekommen und dann gleich mit übertragen? Für einen Monatswert oder gar Halbjahres- oder Jahreswert sehe ich hier kein besonderes Schutzbedürfnis. Davon abgesehen stellen ja viele Lorawan-Netze, die mittlerweile im Einsatz sind, tagtäglich unter Beweis, dass sie die Daten schützen können. Es ist natürlich selbstverständlich, dass man überall dort, wo man Lastverläufe granular betrachtet und Anlagen steuern will, ein Smart Meter Gateway beziehungsweise eine höhere Sicherheitsstufe braucht. Beim Jahreswert eines Haushalts sehe ich die Notwendigkeit allerdings nicht.
E&M: Damit sprechen Sie etwas an, das auch der Bundesverband Neue Energiewirtschaft mehrfach gefordert hat, nämlich pragmatischer an das Thema heranzugehen und das Messstellenbetriebsgesetz für alternative Technologien zu öffnen.
Jungjohann: Der Meinung bin ich auch. Es gibt unterschiedliche Sicherheitsanforderungen und Risiken für unterschiedliche Anwendungen. Hier müsste der Gesetzgeber eine differenziertere Sichtweise an den Tag legen.
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Norbert Jungjohann: „Es gibt unterschiedliche Sicherheitsanforderungen und Risiken für unterschiedliche Anwendungen“ Bild: Stadtwerke Husum Netz |
Im April hat sich Norbert Jungjohann in einer „Glosse“ den Frust von der Seele geschrieben. Seit 2011 ist er Geschäftsführer der Stadtwerke Husum Netz GmbH und hat in dieser Zeit eine Reihe von smarten Projekten angestoßen, etwa das flächendeckende Echtzeitmonitoring des Trinkwassernetzes. Die aktuelle Entwicklung im Messwesen, die sich auf die Stromsparte bezieht, hält der Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik aber für alles andere als intelligent.
„Smart Meter Rollout, moderne Messeinrichtungen und intelligente Messsysteme, das klingt so clever, so innovativ, als ginge eine Welle der Neuerung durchs Land“, schreibt Jungjohann. Als würde der Weg für große Innovationen und deren Verkünder gegenüber dem Kunden bereitet. Eine Art Walk of Fame für Messstellenbetreiber.
Stattdessen bekomme der Walk of Fame mehr und mehr Schlaglöcher. Zum einen der Beschluss des BSI, für einige Messstellenbetreiber die Einbauverpflichtung von intelligenten Messsystemen auszusetzen. Zum anderen sei immer noch kaum erklärbar, welchen Nutzen die intelligenten Zähler mit ihrem eingeschränkten Funktionsumfang tatsächlich haben, ganz zu schweigen von den modernen Messeinrichtungen, die Zählwerte genau wie die konventionellen Zähler registrieren und eben nicht intelligent sind. „Nur sind elektronische Bauteile bei Weitem nicht so langlebig wie elektromechanische“, kritisiert der Netze-Geschäftsführer.
„Kein Mehrwert durch moderne Messeinrichtungen und eine stark gesicherte Übertragung von Zählwerten aus intelligenten Messsystemen, die kein Ablesen mehr erfordert, dafür kostet alles mehr. Logisch, oder? Und der Überbringer der schlechten Nachricht ist wer? Na klar, einer ist immer der Messstellenbetreiber“, schreibt Jungjohann.
Angesichts der Umsetzung der Regulierung falle es immer schwerer, Maß und Ziel zu erkennen. Etwas mehr Pragmatik täte gut. Für ihn steht jedenfalls fest: „Mit dem Vorgehen, einen Zusatznutzen erst dann zu suchen, nachdem die Regeln für den Einsatz von intelligenten Zählern festgezurrt sind, wurde das Pferd von hinten aufgezäumt.“
Dienstag, 25.05.2021, 09:45 Uhr
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