Quelle: E&M
„Vorwärts, es geht zurück“ lautet die Parole. Die Diskussion, ob neue große Stromtrassen doch wieder als Freileitungen statt mit Erdkabeln gebaut werden sollen, läuft.
Am 31. Mai 2012 erfuhr der Leingartener Bürgermeister Ralf Steinbrenner aus der Tageszeitung, dass er in Zukunft mit Deutschlands Energiewende zu tun bekommt. Es war der Tag, an dem die Übertragungsnetzbetreiber den neuen Netzentwicklungsplan veröffentlichten, der für Deutschland drei Gleichstromtrassen vorsah. Die Gleichstromtrasse Südlink sollte in der baden-württembergischen Gemeinde enden, ein Konverter Strom ins Umspannwerk dort einspeisen. In zehn Jahren, wenn es das Kernkraftwerk Neckarwestheim nicht mehr tut. Leitungen auf großen Masten sollten ersatzweise Windkraftstrom von der Küste ranschaffen. Heute ist klar: Alles kommt etwas anders.
Streitereien über den Trassenverlauf
Zunächst einmal gab es endlose Streitereien über den Trassenverlauf von Südlink und Südostlink, bei denen sich vor allem die bayerische Politik, namentlich Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), hervortat. Schließlich wurden die Leitungen unter die Erde verbannt. Mit gravierenden negativen Folgen, wie man inzwischen weiß.
Was war passiert? Nachdem der Bundestag im Dezember 2012 grünes Licht für den Start der Vorhaben gegeben hatte, formierte sich in der Bevölkerung Widerstand gegen die „Monstertrassen“ mit ihren hohen Strommasten. Schließlich einigten sich die Parteispitzen von SPD und CDU im Juli 2015 auf Erdkabel statt Freileitungen − und vernichteten damit drei Jahre Planungsarbeit der Ãœbertragungsnetzbetreiber, sorgten dafür, dass der Südlink mindestens dreimal so teuer wird, und erreichten, dass von einem Fertigstellungstermin 2022 nicht einmal mehr geträumt werden durfte.
Nun könnte man den Standpunkt vertreten, dass eine gewisse Großzügigkeit angebracht ist, wenn sie eine friedliche Weiterführung der Projekte ermöglicht. Doch davon konnte überhaupt keine Rede sein. Jetzt mussten sich die Übertragungsnetzbetreiber mit den Grundstücksbesitzern herumstreiten. Zahllose Einsprüche waren und sind die Folge, Betretungsverbote verzögern Vermessungsarbeiten, Bodenproben und Umweltprüfungen, auch die Kommunalpolitik rebelliert. Es ist alles nur noch schlimmer geworden.
Im Zuge der Einsicht, dass das Beerdigen der Trassen keinerlei Akzeptanzverbesserung bewirkt hat, wird jetzt das ganze Paket Freileitung wieder aufgeschnürt. Die ersten Fäden hatte vergangenen November schon mal der Ãœbertragungsnetzbetreiber 50 Hertz gelöst, als bekannt wurde, dass es da ein internes Papier gibt, in dem es um die „Akzeptanzsicherung für die Energiewende“ geht und in dem man sich sorgt, dass es mit der Akzeptanz bald vorbei sein könnte angesichts der Kostenentwicklung beim Thema Strom. Denn das Vergraben von Erdkabeln ist ein extrem teurer Spaß: nicht nur, dass der Südlink jetzt nicht 3 Milliarden Euro kostet − so viel war anfangs für die Freileitung veranschlagt −, sondern 10 Milliarden.
Enormes Einsparpotenzial
20 Milliarden Euro, so rechnen die Ãœbertragungsnetzbetreiber vor, ließen sich sparen, wenn wieder auf Masten gesetzt würde. Dass im Bundeshaushalt die Mittel knapp geworden sind, weiß nicht nur Finanzminister Christian Lindner von der FDP. Schließlich hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds die Lage gerade in diesem Bereich enorm verschärft − und den Weg frei gemacht für die Diskussion, ob sich die Bundesrepublik zig Milliarden für Landschaftskosmetik leisten kann oder will. Zumal die Erdkabel außer optischen Vorteilen offensichtlich nur Nachteile mit sich bringen. Ãœber die bisher nur nicht viel geredet wurde.
Nehmen wir nach den Kosten die Natur: Nicht nur dem Landwirt, auch der Zauneidechse ist ein Hochspannungsmast auf der Wiese lieber als eine metertief und -breit aufgebaggerte Schneise. Zumal neben dem Platz für die eigentliche Trasse auch noch ein Streifen für die schweren Baufahrzeuge freigeräumt werden muss. Nachteile durch eine Erwärmung des Bodens, über die es endlose Diskussionen gab und für die eigens Feldversuche gemacht wurden, sind bei Freileitungen kein Thema. Schwieriger ist am Ende auch die Wartung von Erdkabeln: Bei einem Defekt muss wieder gebuddelt werden.
Außerdem dauert der Bau von Erdkabeltrassen mindestens ein Jahr länger als der von Freileitungen, was zusätzlich zu höheren Kosten für Redispatch führt. Allein die Tatsache, dass durch die politische Volte von 2015 drei Jahre Planungsarbeit für die Katz waren, hat viele Milliarden für Netzstabiliserungs-Maßnahmen gekostet.
Betroffen von einer möglichen Kehrtwende von der Kehrtwende wären allerdings nicht die in Planung und Vorbereitung weit fortgeschrittenen Projekte Südlink oder Südostlink, sondern noch in der Anfangsphase steckende.
Dazu erklärte Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, im Interview mit E&M: „Es macht nur Sinn für die Neubauleitungen. Das sind die Gleichstromleitungen DC40, 41, 42 (Ostwestlink, Nordwestlink, Südwestlink; d. Red.). Der ideale Zeitpunkt für die Entscheidung wäre der letzte Herbst gewesen, denn damals hat die Bundesnetzagentur mit ihren Planungen begonnen. Gleichwohl geht es bei diesen drei Leitungen um ungefähr 15 bis 16 Milliarden Euro über die Zeit hinweg. Darum sagen wir, wenn vor allem die betroffenen Bundesländer dem zustimmen würden und man diese Entscheidung aus der Vergangenheit korrigiert, würde das die Netzausbaukosten deutlich reduzieren und wäre ein sehr vernünftiger Schritt.“
Auch Tennet-COO Tim Meyerjürgens sieht das so: „Der Erfolg der Energiewende ist maßgeblich abhängig von einer schnellen und kosteneffizienten Umsetzung, damit Energie für Wirtschaft und Verbraucher langfristig bezahlbar bleibt. Tennet empfiehlt daher, den Ausbau des Ãœbertragungsnetzes an Land grundsätzlich in Freileitungen auszuführen.“
Seitens der Bundespolitik haben sich SPD und CDU mittlerweile dafür ausgesprochen, den Erdkabelvorrang zu kippen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen bleibt allerdings skeptisch: Das Umswitchen auf Freileitungen ginge allenfalls, wenn sich die Länder einig seien, erklärte er. Denn aus den Bundesländern kommen ganz unterschiedliche Äußerungen zu dem Thema. Und Ãœberraschendes aus Bayern: Deutlich mehr überirdisch statt unterirdisch, kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einer Regierungserklärung im Landtag an. „Ãœberirdisch, wo möglich, unterirdisch, wo nötig“, sagte er.
Ein Abschnitt beim Südlink-Projekt dürfte aber als unschlagbar geniale Variante in die Geschichte der Erdverkabelung eingehen. Im Raum Heilbronn tauchen die normalerweise in rund 1,5 Metern Tiefe verlegten Leitungen ganz weit ab: In einem Schacht geht es 200 Meter hinunter in die Stollen der Heilbronner Salzwerke. Dort unterqueren die Kabel mühelos und ohne aufwendige Horizontalbohrungen Straßen, Bahnlinien, Flüsse und die Autobahn. Bis sie nach 17 Kilometern im Gemeindebereich von Bürgermeister Ralf Steinbrenner wieder nach oben kommen und in den Konverter geführt werden. Steinbrenner und sein Gemeinderat haben das Südlink-Projekt übrigens immer wohlwollend und unterstützend begleitet. Im Gegensatz zu vielen Kollegen entlang der 700 Kilometer langen Windstromtrasse.
Dienstag, 9.07.2024, 09:16 Uhr
Günter Drewnitzky
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