Edvard Munch muss warten. Ein Rundgang durch Oslo führt am imposanten, 2021 zu Ehren des expressionistischen Malers eröffneten Museumsneubau vorbei. Denn die Sehenswürdigkeiten der Mobilitätswende liegen woanders in Norwegens Hauptstadt. Nahe der E18, kurz vor dem Containerterminal im östlichen Hafenbereich etwa harren drei Schnellladesäulen darauf, von schweren Lastwagen oder Bussen angesteuert zu werden. Die klassische Tankstelle nebenan hat indes an diesem wolkenverhangenen Herbstfreitag binnen einer halben Stunde mehr Kundschaft. Das Aroma von Diesel und Benzin bleibt der Stadt noch eine Weile erhalten.
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Im idyllischen Atlungstad am Mjösa-See, nördlich von Oslo, parken ladende E-Autos und Verbrenner vis-a-vis. Quelle: Volker Stephan |
Doch der Eindruck, dass es an Schwerlastern mit Batterieantrieb mangelt, täuscht. Auch die Neuzulassungen der nicht stinkenden Elefanten in Norwegen steigen. Schon 2022 gingen über 200 vollelektrische Laster auf die Straße, hinzu kam eine etwa ebenso große Anzahl an Plug-in-Hybriden. Noch bemerkenswerter ist das Straßenbild im Zentrum Oslos. „Stell dich einfach an eine beliebige Kreuzung und achte auf die Kennzeichen“, sagt Unni Berge, Kommunikationschefin von Elbil, Norwegens Elektromobilverband Norsk Elbilforening. Und in der Tat, gefühlt jedes zweite Auto trägt das „E“ für Elektro als ersten Buchstaben im Nummernschild. Etwa 30 Prozent der Osloer Pkw seien inzwischen vollelektrisch unterwegs, sagt Berge.
Ab 2025 erhalten nur noch Autos ohne Emissionen die ZulassungDie Autowelt um die Skandinavier herum wird aber wegen einer anderen Zahl blass vor Neid. Monat für Monat kommt eine unglaubliche Menge an Stromern hinzu. Im Jahresverlauf 2023 sind konstant mehr als 80 Prozent der Neuen reine Batterieautos, dazu kommen ein paar Hybride. Ergebnis: Von 100 Neuzulassungen sind aktuell nur noch sieben Verbrenner − in Deutschland kommen Elektroautos zeitgleich nur auf einen Anteil von 14,1 Prozent (31.700 neue Stromer im September).
Norwegen ist schon seit Jahren unter Strom, erstmals 2020 entfiel die Hälfte aller Neuzulassungen auf vollelektrische Pkw. 2025 sollen nur noch Null-Emittenten eine Zulassung erhalten. Jedes fünfte Auto in Norwegen verfügt heute über alternative klimaschonende Antriebe, das waren im September in Summe gut 722.000 der 3,6 Millionen Pkw. Und das alles ohne Prämien a la Umweltbonus aus dem Hause Habeck, dem deutschen Wirtschaftsministerium. „Norwegen vermeidet seit Jahrzehnten direkte Subventionen für den Kauf von Elektrofahrzeugen“, sagt Unni Berge.
Stattdessen stellt das 5,4-Millionen-Einwohner-Land die Elektromobilität günstiger, befreit Neuwagen von der Mehrwertsteuer (25 Prozent), weitgehend auch von Mautgebühren, schafft andere Anreize wie kostenfreies Parken oder das Fahren auf Busspuren. Nicht zuletzt fallen die Betriebskosten eines Stromers rapide gegenüber einem Verbrenner ab, wenn die private kWh Ökostrom aus dem von Wasserkraft verwöhnten Land um die 10 Cent pendelt. Ergebnis: Verbrenner sind im Vergleich wegen all der für sie geltenden Steuern, Gebühren und des teuren Sprits kaum noch attraktiv und vielfach schon in der Anschaffung kostspieliger.
Was Deutschland sich von Norwegen abschauen sollte, sei entsprechend das Bonus-Malus-System, sagt Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher im Verkehrsclub Deutschland (VCD). Die hiesigen Kaufprämien für E-Autos waren aus dem großen Steuertopf finanziert, der Staat solle aber besser über die Kfz-Steuer steuern. Die Steuer für die fossilen Kraftstoffe müsse sich am CO2-Ausstoß orientieren, günstiger Diesel sei also aus der Zeit gefallen. „Alle Privilegien müssen auf den Prüfstand“, sagt Michael Müller-Görnert und bezieht auch Dienstwagenregelung und Pendlerpauschale mit ein, wovon vor allem Besserverdienende profitierten. „Wenn wir hier überall gerecht besteuern, dann ist auch mehr Geld für die E-Mobilität im System.“
Vorstandsmitglied Markus Emmert vom „Bundesverband eMobilität“ (BEM) erkennt in Norwegen vor allem eine Antriebswende, also den 1:1-Ersatz von Verbrennern. Als wichtiger empfindet er allerdings eine Mobilitätswende, also den Fokus von Autos auf andere Mobilitätsformen zu verschieben. „Dort hat auch Norwegen Nachholbedarf“, sagt Emmert. Er wolle „keinem das Auto wegnehmen, aber die Mobilität der Zukunft muss aus einem bunten Strauß an Möglichkeiten bestehen“, sagt Emmert weiter und zählt miteinander kombinierte, intelligent gesteuerte und preisgünstige Angebote von Zug, Bus, Straßenbahn, Shuttle und Abruftaxi auf.
Michael Müller-Görnert vom VCD pflichtet ihm bei. Das von der Bundesregierung für 2030 ausgegebene Ziel von 15 Millionen E-Autos in Deutschland sei zunächst eine Herausforderung. Alternative Antriebe in Deutschland machen aktuell nur 4,65 Prozent bei rund 49 Millionen Autos aus, vollelektrische Wagen (circa
1,4 Millionen) darben bei etwa 3 Prozent. Außerdem sei die Zahl 15 Millionen nicht entscheidend. „Es geht darum, insgesamt weniger Auto zu fahren“, sagt Müller-Görnert. „Aber die tatsächlich gefahrenen Kilometer müssen überwiegend auf elektrische Antriebe entfallen.“
Auf dem Rückweg vom Containerhafen in Oslos Innenstadt fällt auf, dass nicht an jeder Straßenecke Ladesäulen stehen. Norwegen flankiert den Elektroauto-Boom nicht mit einem übermäßigen Ladeangebot im öffentlichen Raum. Unni Berge von Elbil verweist auf das private Laden, das der Staat fördert. In einem Parkhaus gegenüber dem Hauptbahnhof gibt es eine Ebene mit Ladestationen für E-Autos, mehr davon finden sich etwas außerhalb des Stadtkerns.
Bis einschließlich September gab es in Norwegen 7.131 Schnellladepunkte (ab 50 kW Leistung) und 15.708 Normalladestationen, der Zubau hat sich zuletzt verlangsamt. Im lang gestreckten Land stehen nicht zuletzt Fernfahrer und Urlauber vor der Frage, wie gut es elektrisch bis in den hohen Norden an Finnlands und Russlands Grenze geht. Elbil hat das getestet und ist im Winter die 2.000 Kilometer von Oslo in die Provinz Finnmark gefahren. Unni Berge: „Das funktioniert, weil das Schnellladenetz entlang der Hauptstraßen inzwischen gut ausgebaut ist. Ich empfehle für Fernreisen aber dennoch eine leistungsstarke Batterie und eine gute Planung.“
Weil Schnelllader für E-Mobilisten gegenüber langsameren zunehmend an Bedeutung gewinnen, haben Pro-Kopf-Statistiken unterschiedliche Aussagekraft. Ohne Unterscheidung teilen sich etwa 30 Stromer in Norwegen eine Ladesäule, bezogen auf Schnelllader sind es ungefähr 100. In Deutschland ist das Angebot mit 13 E-Autos auf einen Ladepunkt größer, der Ruf nach mehr Schnellladepunkten wird gleichwohl lauter. Die Zielzahl von 1 Million Ladepunkten in Deutschland hält der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) allerdings für überzogen. Er argumentiert auch mit der fehlenden Wirtschaftlichkeit bei einem Überangebot, heute seien Ladepunkte im Schnitt nur drei Stunden am Tag belegt. Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur registrierte zuletzt monatlich 23 Ladevorgänge pro öffentlichem Ladepunkt, im Schnitt also nicht einmal einen pro Tag.
E-Autos, E-Lkw, E-Fähren – aber das Geschäft mit Öl und Gas bleibtUnweit des Osloer Rathauses, dem Schauplatz der Nobelpreis-Verleihungen, stehen derweil zwei Elektro-Vans an einem Ladepunkt Schlange. Allerdings an einem ungewöhnlichen Ort: am Rand der Terminals, von dem Passagierfähren in den Oslofjord ablegen. Während die Firmenwagen vor sich hin laden, bleibt Zeit für einen Blick auf die mit Strom betriebenen Fährschiffe. „Ikke i trafikk“, sagt der Monitor eines Boots, Pause. Die Ladevorrichtung an Land beugt sich wie eine Palme über die Fähre. Norwegen macht auch im Schiffsverkehr sukzessive ernst, die ersten großen Dampfer dampfen seit 2021 nicht mehr. Sofern der Fährverkehr übrigens Lücken in Norwegens Straßennetz füllt, dürfen E-Autos kostenlos mitfahren. Noch so ein Bonus des Landes, das weltweit an der Spitze der Elektromobilität steht. Dass Norwegen auch in den kommenden Jahrzehnten noch horrendes Geld aus seinen Öl- und Gasfeldern erlösen will, passt aber nicht so recht ins Bild vom Ökovorreiter. Das allerdings ist eine andere Geschichte.
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Ihren Stromhunger stillen in Oslo auch Passagier-Fähren, deren Ladestation wie eine Palme anmutet. Quelle: Volker Stephan |
Elektromobilität in NorwegenDas Straßenbild in Norwegen ändert sich schnell: Bei den Neuzulassungen kommen vollelektrische Autos auf gut 80 Prozent Anteil.
Der Staat erlässt Stromern einige Steuern, Abgaben und Gebühren, wodurch Verbrenner an Attraktivität verlieren.
Schon heute liegt der Anteil nicht fossil betriebener Fahrzeuge an der Gesamtfahrzeugzahl bei gut 20 Prozent. Das sind nach Zahlen der European Alternative Fuels Observatory (EAFO), einer Einrichtung der EU-Kommission, über 722.000 Stromer.
Vom Elektro-Boom profitieren auch deutsche Autohersteller. Im ersten Dreivierteljahr 2023 setzten Volkswagen (7.106), Audi (1.782) und BMW (1.653) insgesamt über 10.000 ihrer E-Modelle ab. Der Tesla Y führt die Statistik aktuell aber an (15.650).
Mittwoch, 15.11.2023, 11:00 Uhr
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